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Mission Neuanfang in Pirna startet mit Problemen

Gestern wurden die ersten Sandsäcke wieder abgetragen. Doch währenddessen zeigen sich erste persönliche Schicksale.

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© Thomas Kretschel

Von Alexander Müller

Gestern Vormittag war erst einmal „Hochwasser schauen“ in Pirna angesagt. Der Markt, der von der östlichen Seite noch gut erreichbar ist, war zentraler Treff- und Anlaufpunkt. Natürlich schauten die meisten hier nicht nur vorbei, um zu sehen, wie hoch das Wasser schon ist. Im Stadthaus befindet sich auch das Helferbüro und dort gab es richtig viel zu tun. Doch auch die, die nur vorbeiguckten, waren kaum Katastrophentouristen, sondern zumeist Betroffene.

Dienstagabend war das noch anders. Junge Leute mit Bierflaschen und anderen alkoholischen Getränken zogen durch die Stadt. Für sie ist das Hochwasser offenbar ein großer Spaß. Soweit sie nicht die Einsatzkräfte stören, mag das noch keine Auswirkungen haben, doch leider blieb es auch dabei nicht. Manche machten auch vor eigenen Gummibooten nicht halt. Die Gefahr von Plünderungen ist dabei die eine Sache. Das Problem, dass dadurch das eigene Leben und das von anderen bedroht wird, ist jedoch auch nicht zu vernachlässigen.

So oder so, wer gestern Vormittag auf Pirnas Marktplatz schaute, konnte sich zumindest eines wichtigen Faktes versichern: Die Elbe geht wieder zurück! Auf diese Nachricht hatten viele so lange gewartet. „Wirklich, aber in Tschechien sollen die Pegel doch noch steigen“, fragt Pia Hoffmann einen anwesenden Feuerwehrmann. Der verfolgt den Ticker zwar auch nicht live, kann aber die Botschaft tatsächlich bestätigen. Und wer genau hinschaute, konnte die Tatsache sogar direkt am Rathaus von Pirna beobachten. Millimeter für Millimeter zog sich das Wasser zurück.

Sehr viel weiter aber bisher auch nicht. Und es wird auch noch sehr lange dauern, bis es ganz weg ist. Erst Mitte der kommenden Woche wird damit gerechnet, dass das Gröbste raus ist. „Und was dann kommt, möchte ich gar nicht wissen“, sagt Tim Groszick, der seine Wohnung auf der Langen Straße verlassen hat.

Solche Fragen kann derzeit keiner seriös beantworten. Vielen in Pirna geht es momentan eher um die nächste Minute. Was danach passiert, wird schon irgendwie geschehen. Jetzt ist jetzt. Und das hieß für Pirna gestern auch schon, dass die ersten Sandsäcke wieder bei Seite geschafft wurden. Für fast jeden erkennbar war das auf der Breiten Straße auf der Höhe des alten Posthofs. Kräfte der Bundeswehr rückten und packten an. Sie schweren Batzen wurden auf einen Lkw verladen und kamen dann auf die Zetkin-Straße, dort, wo die meisten quasi auch eingetütet wurden. Es mag sein, dass anderswo noch Sandsäcke gebraucht werden, die meisten aus Pirna werden aber nicht wieder verwendet. Die Säcke selbst verrotten schnell und der Sand selbst wurde extra eingekauft, teilt Pirnas Bauamtsleiter Uwe Schädlich mit. Der Sand könne aber dennoch von denen, die welchen brauchen, auf der Zetkin-Straße abgeholt werden.

In Pirna wird also schon wieder an die Rückkehr gedacht. Da gibt es doch sicher einige, die gerade noch davon gekommen sind. Ismail Incedal scheint ein solcher zu sein, der mit seinem Kebap-House auf der Gerichtsstraße noch trockenen Fußes zu erreichen ist. Man klopft ihm auf die Schulter: „Noch einmal Glück gehabt!?“ Doch Ismail, wie ihn die meisten nennen, winkt nur traurig ab. Dienstagabend bekam er Besuch von der Feuerwehr. Drei große Löschfahrzeuge rasten in einem enormen Tempo heran. Angeblich hatte es gebrannt.

Und tatsächlich: „Es war ein Schmorbrand in der Elektrik“, sagt Ismail. Nur komisch, dass der Strom da schon längst abgeschaltet worden war. Ismail versteht die Welt nicht mehr. Sein Gasthaus, was übrigens als historisch erstes Dönerhaus Pirnas gilt, führt er seit 1995 routiniert. „Als ich keinen Strom mehr hatte, was sollte ich denn da falsch machen?“

Sein Keller steht unter Wasser. Wo oder wie hätte er noch eingreifen sollen? Die ganze Technik steht dort unten. Die Stromleute haben ihm nun gesagt, dass alle Elektrik kaputt ist. Wahrscheinlich müssen alle Leitungen ausgetauscht werden, auf Rechnung von Ismail, versteht sich. Ismail will das nicht wahrhaben. „Ich habe doch keine Schuld!“ Selbst wenn er einen der derzeit enorm begehrten Elektriker bekommen sollte, wird die Reparatur Wochen dauern. Einen Ausfall, den sich seine Gaststube nicht leisten kann. Das Schicksal von Ismail Incedal wird sicher nur eines sein, von denen wir im Zusammenhang mit der Flut berichten müssen. Wer Ismail oder anderen helfen möchte, schickt bitte eine Mail an uns unter [email protected].