SZ +
Merken

Mit 95 Tonnen durch den Mercedes

Neue Autos werden immer sicherer, doch das stellt Rettungskräfte vor Probleme. In Nardt üben sie mit schwerer Technik.

Teilen
Folgen

Von Uwe Schulz

Das Knacken und Knirschen des Metalls ist kein schönes Geräusch. Doch der Feuerwehrmann stemmt das hydraulische Schneidgerät unbeeindruckt an die B-Säule des Mercedes. Das beißt sich mit einer Schneidkraft von bis zu 95 Tonnen hindurch. Der Öldruck klettert mal kurz auf 600 Bar, meist reicht weniger aus, um sich durch die Karosserie zu knabbern. Hier in Nardt, auf dem Areal der sächsischen Landesfeuerwehr- und Katastrophenschutzschule (LFS), nutzen 16 Feuerwehrprofis aus der ganzen Bundesrepublik die Chance, sich einmal an Neuwagen zu probieren. Die haben allerdings schon einen Unfall hinter sich. Das Mercedes-C-Klasse-Coupè und der Opel Zafira wurden im Rahmen des NCAP-Crashtests benutzt. Der Opel hat seitdem einen Frontalschaden, der Benz ist seitlich auf der Fahrerseite lädiert, als wäre er gegen einen Baum gedriftet.

Doch ansonsten sind die Fahrzeuge eben neu. Und das macht den Reiz für die Feuerwehrleute aus. In der Praxis haben sie die Erfahrung, wie man Personen aus einem Fahrzeug befreit und rettet. Doch gerade in den letzten zehn Jahren hat sich bei den Verbundstoffen, der Dicke der A-, B- und C-Säulen der Karosserien, viel getan. Überall im Innenraum lauern Airbags. Neben der Hauptbatterie gibt es je nach Fahrzeug noch bis zu acht weitere. Alles ist fester und auch dicker geworden. Das ist einerseits gut für den Insassenschutz, andererseits kommt man im Ernstfall schlechter an sie heran. Eine aktive Motorhaube, die bei einem Fußgängeraufprall den Fußgänger schützen soll, kann da durchaus zur Gefahr werden. LFS-Leiter René Kraus weiß auch, dass noch vor wenigen Jahren galt, dass nach einem Unfall zuerst die Batterie abgeklemmt werden soll. Heute heißt es in der Ausbildung: Finger weg. Denn es gibt durchaus automatische Sitze, die nach Unterbrechung der Stromzufuhr in ihre Ausgangsposition zurückfahren und das Unfallopfer dabei vielleicht sogar noch stärker einklemmen, als es schon ist. Kraus freut sich daher über die Kooperation mit dem Verein für Fahrzeugsicherheit Berlin, der wiederum mit der TU Berlin zusammenarbeitet. Die gecrashten Fahrzeuge wurden erworben und durften mit Zustimmung der Hersteller für die Ausbildung verwendet werden. Gerd Müller vom Verein konnte einen solchen Kurs im März bereits in Berlin anbieten, nun also den in Sachsen. Darüber ist auch Veit Knoppe, Fachlehrer an der LFS sehr froh. Denn die Autos, die man sonst so zur Ausbildung bekommt, stellen meist den Stand der Technik vor 15 bis 20 Jahren dar.

Hantiert wurde in der Ausbildungshalle der Schule mit Schneider, Spreizer und anderen Gerätschaften der gängigen Hersteller nach Standardeinsatzregeln. Da kommt es schon mal vor, dass sich eine der starken Scheren trotz aller Erfahrung im Zafira verklemmt. Natürlich bekam man sie wieder frei, aber erst durch den Einsatz weiterer Geräte. Und auch dem Mercedes konnte man erfolgreich zu Leibe rücken. Immerhin galt es, auf der Fahrerseite eine „dritte Tür“ zu schneiden, um an die angenommenen Insassen im Fond heranzukommen. Mit der entsprechenden Technik und dem Können gelang es – unter lautem Knacken und Knirschen.