Damit die Bäume nicht in den Himmel wachsen

Jeden Tag acht Stunden draußen. Bei fast jedem Wetter. Das können nur Menschen, die was aushalten. Das wollte ich auch - für ein paar Stunden.
Bloß kein Regen! Dafür bin ich kleidungstechnisch nicht ausgerüstet - zumindest, wenn ich nicht mit einem Schirm in der Apfelplantage stehen will. Ich habe Glück. Es regnet nicht, obwohl der Himmel grau ist an diesem Montagmorgen. Ein mäßiger Wind pfeift durch die Apfelplantage am Görlitzer Hopfenweg. Früher soll hier, unterhalb der Landeskrone, am Plattenweg zur Hühnerfarm, einmal Hopfen angebaut worden sein. Daher der Name Hopfenweg. Das erzählt mir Barbara Schwarzbach aber erst viel später.
Dick angezogen mit Anorak und einer dicken Strickjacke drunter und warmen, aber alten Winterschuhen mache ich mich auf den Weg. Schon bald bin ich froh, dass ich entgegen sonstiger Gewohnheit diesmal nicht auf eine Mütze verzichtet habe. Es sind nur drei Grad Celsius. Mike Schwarzbach begleitet mich zur Plantage. Der 55-Jährige ist der Chef des Obstbaus im Stadtgut Görlitz. Er hätte wohl lieber Gummistiefel an mir gesehen. Der Mann spricht offensichtlich aus Erfahrung.
Wir treffen die "Schnittbrigade" auf der Plantage. Die drei Frauen haben schon Frühstückspause gemacht. In einem Wagen am Plantagenrand, der beheizbar ist. Jetzt geht es weiter. Eigentlich sind sie zu viert, aber eine Kollegin ist krank. Also muss es auch so gehen. Barbara Schwarzbach (54), sie ist die Ehefrau des Obstbau-Chefs, Angela Wuttig (60) und Jennifer Schulz (23) sind mindestens genauso warm angezogen wie ich. Sie wissen, warum.
Schneiden mit Druckluft
Die drei Frauen lassen sich durch unsere Ankunft zunächst nicht stören. Schließlich haben sie viel zu tun. Die Plantage, auf der sie gerade tätig sind, ist 6,3 Hektar groß. Die Bäume sind 1997 gepflanzt worden - und mehr als zwei Meter hoch. Die oberen Äste und Zweige zu verschneiden, war bis vor einiger Zeit eine echte Schinderei. Zwar sind die Astscheren mit einem langen Griff versehen, aber bis zur Krone der Bäume zu gelangen, heißt schon, sich zu strecken, zig Mal am Tag.
Eine Arbeitserleichterung für die Frauen ist die Bühne, die der Obstbau sich geschaffen hat. "Eigentlich ist das eine Erntemaschine, die durch die Baumreihen fährt", erklärt Mike Schwarzbach. Anstelle des Förderbandes, auf das die Apfelpflücker das Obst bei der Ernte legen, und der großen Obstkiste, gibt es jetzt auf dem selbstfahrenden Erntegerät am Heck einen Kompressor. Er erzeugt die Druckluft für die Scheren. Seitlich links und rechts gibt es auf der Maschine jeweils eine "Bühne": Das ist ein Gerüst mit einer Plattform zum Stehen. Es ist beweglich, kann auf Knopfdruck näher an die Bäume herangefahren werden.
Auf jeder Bühne ist Platz für eine Obstbaugärtnerin, so die Berufsbezeichnung der Frauen. Die jüngste in der Gruppe hat im Stadtgut gelernt. Zwar weiß sie selbst, wie es sich jeden Tag anfühlt, nach acht Stunden auf der Plantage. Die Schultern schmerzen, die Handgelenke auch.
Aber Jennifer Schulz hat ihren Kolleginnen durch die erst vor wenigen Jahren absolvierte Lehre voraus, dass sie schon in jungen Jahren viel mehr Hilfsmittel im Obstbau nutzen kann, die die Arbeit erleichtern. Aber dennoch bleibt es eine schwere Arbeit, wenn man sie tagtäglich macht und nicht wie ich nur ein paar Stunden.
Angela Wuttig kann sich wie Barbara Schwarzbach noch an die vormaligen Scheren erinnern. "Auch sie funktionierten mit Druckluft, waren aber sehr schwer." Jetzt nutzen die Obstbaugärtnerinnen Scheren aus Italien. Die sind leichter. Geschnitten wird mit Druckluft. Das heißt, die Schenkel der Schere gehen nach Betätigung des Hebels per Luftdruck zusammen und schneiden ab. Sogar ganz schön dicke Äste. Mike Schwarzbach hatte mich explizit gleich bei Ankunft auf der Plantage auf äußerste Vorsicht beim Umgang mit der Schere hingewiesen.

Was kann weg, was bleibt dran?
Mike Schwarzbach erklärt mir, welche Äste und Zweige am Apfelbaum dranbleiben müssen und welche abgeschnitten werden. Die künftigen Blüten brauchen Licht, also müssen überschüssige Zweige raus. Auch die, die sich zum Nachbarbaum ranken. Und ältere Äste. Die machen Platz für jüngere, die noch "erzogen" werden. Durch den Schnitt, manchmal auch eine kleine Beschwerung, wachsen sie dorthin, wohin sie sollen. "Im Prinzip ist der Apfelbaum wie ein Tannenbaum - oben licht und schmaler als unten."
Insgesamt 38 Hektar Apfelplantagen bewirtschaftet das Stadtgut, auf denen 22 Sorten wachsen. Am Hopfenweg ist der Verschnitt komplizierter und schwieriger als bei den neueren Plantagen. Dort wachsen die Bäume auf ganz anderen, nicht so stark wachsenden Unterlagen. Der Nachteil ist, dass diese Bäume ohne ein Gerüst oder einen Haltedraht umfallen würden. Für die Apfelbäume am Hopfenweg trifft das aber nicht zu.
"Hier ist die Unterlage stark wachsend", erklärt der Obstbau-Chef. Also dickere Stämme. Vor etlichen Jahren ist dort sogar mal die Sorte gewechselt worden. Das heißt, eine andere Apfelsorte wurde aufgepfropft. "Mit 'Reglindis' waren wir auf dem Markt nicht erfolgreich", sagt Schwarzbach.
Ansonsten ist das Obst aus dem biologischen Anbau des Stadtgutes sehr gefragt. Deutschlandweit wird geliefert. Im vorigen Jahr allerdings gab es einen mächtigen Ertragseinbruch, etwa 60 Prozent. Die anhaltende Trockenheit war dafür verantwortlich, aber auch der Apfelwickler, ein Falter. Dessen Larven leben von den Früchten.
Auch vor Ort im Stadtgut in Kunnerwitz kann man Äpfel kaufen. Werbung macht das Unternehmen dafür aber nicht.

Nachwuchs willkommen
Auch für den Fachkräftenachwuchs wird nicht mit Anzeigen oder dergleichen geworben. Junge Menschen sollen aus Interesse den Weg ins Stadtgut finden, nicht, weil sie vielleicht woanders keine Lehrstelle bekommen. Die Arbeit im Stadtgut ist vielfältig, fordert, macht aber viel Spaß, wie die Frauen der "Schnittbrigade" betonen. "Man ist den ganzen Tag an der frischen Luft", sagen sie übereinstimmend. Keine von ihnen möchte jeden Tag acht Stunden in einem Büro sitzen.
Aber nicht nur der Baumschnitt gehört dazu, sondern viel Pflege vor der Ernte, die Ernte selbst und viel Arbeit in der Vermarktung. Immerhin baut das Stadtgut neben Äpfeln auch auf 7,5 Hektar Sauerkirschen, auf 7,2 Hektar Streuobst und auf 1,2 Hektar Birnen an. Die sind erst 2018 gepflanzt worden.
Nicht geschnitten, trotzdem eine Hilfe
Nachdem ich unter fachmännischer Anleitung von Mike Schwarzbach ein paar Bäume in "Form" gebracht habe, entscheide ich mich, das Schneiden zu lassen und dafür das abgeschnittene Holz in der Mitte der Baumreihe zu platzieren. Es muss weg vom Baum. Mit einer Art Rechen, der nur zwei Zinken hat, klappt das ganz gut. Mike Schwarzbach wird irgendwann mit dem Traktor und dem Häcksler über das Schnittholz fahren. Das Häckselgut bleibt liegen, dient als Mulch auf der Plantage.
Mit meinem Schnitttempo wäre ich eine Bremse für die drei Frauen. Ihr geübtes Auge und ihre Erfahrung sagen ihnen sofort, welcher Zweig weg kann und wo gestutzt werden muss. Ich muss dafür zu lange schauen und abwägen, wo ich schneiden kann. Die Maschine mit dem Kompressor rollt weiter. Und so lang ist der Schlauch für die Druckluft an der Schere auch wieder nicht...
In unserer nächsten Folge am Sonnabend wird sich SZ-Redakteur Markus van Appeldorn als Müllkutscher ausprobieren.
Mehr Nachrichten aus Görlitz lesen Sie hier.
Mehr Nachrichten aus Niesky lesen Sie hier.