Ob es auf Kuba Strom gibt, ist Arne Retzlaff, langjähriger Regisseur an den Landesbühnen Sachsen, schon gefragt worden. Zwar kann man mittlerweile seinen Urlaub auf der Karibikinsel verbringen, doch über das wirkliche Leben jenseits der Touristenstrände und der Propaganda ist wenig bekannt. Arne Retzlaff hat sieben Monate mit seiner Familie auf der Insel gelebt.


Herr Retzlaff, wo sind Sie auf Kuba gewesen?
Wir sind in Manzanillo, einer Stadt im Südosten von Kuba, an einer großen Meeresbucht gelegen, gewesen. Die Stadt hat etwa 130 000 Einwohner und liegt fern ab der Touristenrouten.
Wie haben Sie den Alltag unter den Kubanern erlebt?
Es gibt zunehmend Leute mit Geld. Ich habe das Gefühl, dass auch da die Gesellschaft auseinanderdriftet. Wer an Dollar herankommt, dem geht es relativ gut, der hat einen guten Lebensstandard. Die andere Hälfte der Bevölkerung muss schon ganz schön ums Überleben kämpfen.
Wovon leben denn die einfachen Leute?
Für mich ist Kuba ein ganz normales Land: Da gibt es Lehrer, Ärzte, Bus- und Taxifahrer, es gibt Arbeiter in der Landwirtschaft und in der Industrie. Und dann gibt es einen großen Sektor, da schlägt man sich durch. Man kann im Prinzip alles bekommen, aber es ist schon etwas aufwendig. Man muss beispielsweise jemanden kennen, der jemanden kennt, der Maurer ist, oder eben Elektriker.
Also ist es so wie in DDR-Zeiten?
Ich mag den Vergleich mit der DDR nicht. In der DDR war ich zum Schluss nicht glücklich. Wenn ich auf Kuba bin, bin ich ziemlich glücklich. Das hängt sicher auch damit zusammen, dass wir dort jetzt unser Haus ausbauen. Dass meine Frau dort ihre Heimat hat und unser Junge zumindest seine zweite. Dass wir überhaupt nicht ideologisch behelligt werden und wundervolle Nachbarn haben. Und dass es insgesamt ein sehr, sehr schönes Land ist. Und natürlich auch deshalb, weil wir jederzeit raus könnten. Wegen all dieser Faktoren möchte ich das Land nicht mit der DDR vergleichen, an die ich mich zum Schluss als bleierne, graue Zeit erinnere.
Wie funktioniert die Versorgung?
Nahrungsmittel sind mittlerweile kein Problem mehr. Es gibt manchmal Wochen, da läuft alles und dann gibt es plötzlich zum Beispiel keine Zigaretten mehr. Da fährt man durch die ganze Stadt und sucht einen Laden oder eine Kneipe, die noch Zigaretten haben. Ein anderes Mal waren plötzlich Eier nicht mehr da. Bis Ende des vergangenen Jahres war Baumaterial kein Problem, doch plötzlich war der Markt wie leergefegt. Warum? Keine Ahnung. So geht es immer hoch und runter, und wenn man immer dort lebt, ist das sicher nicht einfach.
Und der Straßenverkehr, wie läuft der?
In Manzanillo, wo wir leben, gibt es Busse, aber da die nicht ausreichen, gibt es auch viele Pferdekutschen. Viele Leute fahren mit der Pferdekutsche oder mit dem Fahrrad zur Arbeit oder zur Schule. Das ist nur bedingt romantisch.
Wie nehmen die Kubaner die Mühen des Alltags?
Sie haben die Fähigkeit, über fast alles zu lachen, auch fast alles zu verspotten. Sie lachen auch immer wieder über die eigene Misere und sagen: Wir sind das einzige Volk, das darüber noch lachen kann. Manche Leute verzweifeln aber auch an den Schwierigkeiten.
Gibt es die Angst, dass bei einer Öffnung, Kuba wieder zum Bordell der USA werden würde?
Ja, es gibt diese Angst, und ich denke, sie ist auch berechtigt.
Kürzlich habe ich die Worte eines kubanischen Mädchens gelesen: „Wenn es Gott gibt, dann darf er nicht zulassen, dass der Kapitalismus kommt.“ Ist das eine extreme Meinung oder die vorherrschende?
Die Gesellschaft ist gespalten. Ich habe kluge Leute kennengelernt, die aus vollster Überzeugung das kubanische System verteidigen. Auf der anderen Seite gibt es natürlich die Sehnsucht nach dem großen Supermarkt, wo man genügend Geld hat, alles das zu kaufen. Die Leute wollen einfach auch ökonomisch weiterkommen. Es gibt alles gleichzeitig.
Sie sagen, Kuba sei ein schönes, ein faszinierendes Land.
Landschaftlich ist es sehr schön, es hat alles - vom Meer bis zum Gebirge. Es ist ein sehr weiches Land, es ist immer Sommer. Die Menschen sind sehr zuvorkommend und freundlich. Das Land hat einen unheimlichen Rhythmus. Die Menschen gehen sehr offen, sehr laut miteinander um. Überhaupt ist das Leben sehr öffentlich, das heißt, dass vieles, was bei uns hinter den Türen verhandelt wird, dort in der Öffentlichkeit geschieht. Mein Sohn kann bei allen Nachbarn ins Haus, es kümmern sich auch alle um ihn. Hinzu kommt, dass das Leben relativ sicher ist. In Deutschland sind viele Leute ziemlich fertig von der Arbeit. Wir sind arbeitsam und diszipliniert – das macht uns ja auch in der Welt aus. Ich weiß nicht, ob das Wort Burn-out für Kubaner schon verständlich ist. Natürlich kann man bei 38 Grad und 90 Prozent Luftfeuchtigkeit nicht den ganzen Tag „durchkloppen“.
Was würden Sie dem Kuba-Besucher für einen Reisetipp mitgeben?
Bei Lessing heißt es: „Der eine soll den andern nicht mäkeln.“ Wenn man die eigene Erfahrung als das allein Seligmachende zugrunde legt, dann kann man das Land nicht genießen. Wenn der Bus nicht kommt, man aber sagt, er muss pünktlich kommen, dann ist die Wartezeit, in der vielleicht etwas passiert, in der man mit Leuten in Kontakt kommen könnte , tote Zeit.
Gespräch: Udo Lemke