Von Miriam Schönbach
Die Euter sind prall. Gemütlich betreten die Kühe der Agrar GmbH Gersdorf-Oberlichtenau das Melkkarussell. Eine solche vollautomatische Anlage gibt es in Deutschland gerade dreimal. Lange bevor der Milchpreis in den Keller stürzte, überlegte sich dir Geschäftsführer Wilfried Furchert die Investition in Höhe von zwei Millionen Euro. „Rentabel können wir derzeit nicht arbeiten. Aber ich muss doch meinen Leuten zeitgemäße Jobs anbieten, sonst melkt hier bald keiner mehr“, sagt der Geschäftsführer des Landwirtschaftsbetriebs.

Die Kühe interessieren die Sorgen nicht. Ihr Job heißt ganz schlicht: Milch geben. Ihre Arbeit machen sie gut. Die sächsischen Bauern produzieren im Jahr 1,6 Millionen Tonnen Milch. In Deutschland stehen über 30 Millionen Tonnen Milch in der Statistik. Weltweit sind es sogar 580 Millionen Tonnen Milch. Experten schätzen eine Überproduktion von etwa zehn Prozent.
Embargo und China-Krise
Die Folge sind sinkende Milchpreise. Manfred Uhlemann kennt die Zahlen: „Derzeit liegen die Erlöse bei 25,5 bis 26,6 Cent pro Kilo Milch. Dagegen stehen Kosten von 33 bis 35 Cent. Die Bauern verlieren mit jedem Liter Milch zwischen acht und zehn Cent“, sagt der Hauptgeschäftsführer des Landesbauernverbandes.
Für den rasanten Fall des Milchpreises sieht Manfred Uhlemann gleich drei Ursachen. „Unseren Bauern schadet das Russland-Embargo. Das Land kauft keine Milchprodukte mehr aus der EU, stattdessen setzen sie auf Eigenproduktion. Wenn die Handelssperre nicht bald aufgehoben wird, geht uns dieser Markt komplett verloren“, sagt der Agrarpolitiker. Außerdem schadeten die Wirtschaftskrise in China und die Querelen in Nordafrika dem Absatz. Beide Regionen waren Großabnehmer. – Für die Discounter ist diese Konstellation ein perfekter Ausgangspunkt für die Verhandlungen mit den Molkereien. Das 250-Gramm-Stück Butter kostet bei Aldi seit August 79 Cent. Für einen Liter Milch muss man 50 bis 60 Cent bezahlen. Andere Molkereiprodukte wie Frisch- und Weichkäse werden infolge des Preisverfalls für Milch ebenso billiger. Die Wettbewerber Edeka, Rewe, Lidl, Penny und Netto kündigten ebenfalls an, die Preise zu senken.
Den Verbraucher freut diese Entwicklung. „Die Masse kauft doch über den Preis“, sagt Manfred Uhlemann.
Eine Verbraucherstudie der Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) in Nürnberg bestätigt dies. Fast 48 Prozent der Befragten sagten bei der Umfrage, dass sie Lebensmittel und Getränke so preisgünstig wie möglich einkaufen würden. Zum Vergleich: In der Schweiz kostet der Liter Milch umgerechnet 1,39 Euro, in Frankreich sind es 0,94 Euro und im krisengeschüttelten Griechenland zahlen die Kunden durchschnittlich 1,22 Euro für den Liter Milch. – Der Blick über die Grenzen hilft den Landwirten jedoch nicht. Stattdessen bleibt den meisten nichts anderes übrig, als die Tiefpreisphase auszuhalten. Eine weitere Variante wäre, die Bestände zu verkleinern, sagt Bernhard John, Geschäftsführer der Agrofarm Göda. Auch er investierte vor einem Jahr in eine neue Milchviehanlage. 730 Milchkühe drehen auf dem Melkkarussell in Nedaschütz ihre Runden. Sein bester Schützling gibt zwischen 9 000 und 10 000 Liter Milch im Jahr. Die deutsche Durchschnittskuh bringt 7 400 Liter.
„Aber die Milchproduktion kannst du nicht einfach abschalten. Weniger melken, geht auch nicht. Also finanzieren wir mit den Erträgen aus dem Ackerbau die Verluste. Gegenüber den reinen Pflanzenproduzenten ist das natürlich ein Wettbewerbsnachteil“, sagt Bernhard John. Es ist ein Spiel auf Zeit. Perspektivisch destabilisiert diese Art der Querfinanzierung das Unternehmen. Noch viel drastischer trifft es die kleinen Betriebe. Einige, die jetzt investieren müssten, denken bereits übers Aufhören nach, weiß Manfred Uhlemann.
Ein guter Milchpreis wäre der Ansicht nach von Wilfried Furchert 40 Cent für den Liter Milch: „Zurzeit stehen die Verhältnisse Kopf. Plus machen wir nur mit der Milch, die wir nicht an die Molkerei von Müllermilch in Leppersdorf liefern.“ Sarkasmus liegt in der Stimme des Landwirts.
Hoffen auf neue Gesetze
Bernhard John liefert seine Milch an die Heinrichsthaler Milchwerke. Die Genossenschaftsmolkerei in Radeberg produziert nach eigenen Angaben pro Jahr 22 000 Tonnen Schnittkäse. Die Milch dafür stammt aus 60 Landwirtschaftsbetrieben in Ostsachsen und Südbrandenburg. Für sie bleibt – wenn die Preise weiter so niedrig bleiben – wohl wirklich nur die Reduzierung des Tierbestandes.
Doch so einfach ist das nicht, sagt Manfred Uhlemann: „Da müssen alle Länder mitmachen und nicht nur Deutschland.“ Zudem sieht der Hauptgeschäftsführer des Sächsischen Landesbauernverbands die Politik in der Pflicht. Die Landwirtschaft brauche neue steuerliche Regularien. So müssten die Bauern mehr Möglichkeiten bekommen, in guten Zeiten Geld für schwierige Jahre zurückzulegen. Schließlich seien die Risiken, zum Beispiel durch das Wetter, in landwirtschaftlichen Betrieben wesentlich höher als bei produzierenden Unternehmen. Derzeit – so Uhlemann – tue sich die Bundesregierung jedoch noch schwer mit dieser Ausgleichsrücklage.
Für die Betriebe gilt so lange das Prinzip Hoffnung: „Der Milchmarkt ist immer in Bewegung. Wenn es gut läuft, steigen die Preise bald wieder“, sagt Wilfried Furchert. Die Kühe auf dem vollautomatischen Melkkarussell tun derweil das, was sie am besten können: Milch geben.