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Mit Deutschschwäche durchs Abi

Trotz ihrer Lese- und Rechschreibschwäche (LRS) hat Juliane Schmidt jetzt ihr Abitur geschafft und will nun Biologie studieren. Dank ihrer Eltern und engagierten Lehrern in der LRS-Klasse an der Bischofswerdaer...

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Von Gabriele Naß

Trotz ihrer Lese- und Rechschreibschwäche (LRS) hat Juliane Schmidt jetzt ihr Abitur geschafft und will nun Biologie studieren. Dank ihrer Eltern und engagierten Lehrern in der LRS-Klasse an der Bischofswerdaer Grundschule Kirchstraße hat die junge Frau ihr Leben im Griff und viele Pläne für die Zukunft.

Mutti Schmidt macht Hausaufgaben. Mit Tochter Juliane, die in der zweiten Klasse lernt und noch immer nicht verstanden hat, dass Blume mit l und nicht Bume ohne l geschrieben wird. Die beiden üben, aber bald liegen die Nerven blank. Die Mutti versteht nicht, warum Juliane so Einfaches so schwer begreift.

Die Erinnerungen in der Familie sind frisch, als wäre es gestern gewesen, dass die heute 20-jährige Tochter in der Schule zuerst beim Lesen und Schreiben und daraus folgend auch in anderen Fächern Probleme bekam. „Es war für uns ein Schock, als die Lehrer uns mitteilten, Juliane soll an der Förderschule angemeldet werden“, sagt der Vati. Inzwischen ist er stolz darauf, dass nach seiner Großen auch die kleine Tochter das Abitur bestanden hat. Am Beruflichen Gymnasium in Kamenz war die Großröhrsdorferin vor wenigen Wochen erfolgreich. Trotz einer ausgeprägten Lese- und Rechtschreibschwäche (LRS), die sie schon als Grundschulkind quälte und die von Anfang an der Grund dafür war, dass sie dem Unterricht in der normalen Klasse nicht gut genug folgen konnte. Die Eltern ließen damals nicht locker. Sie sahen selbst, dass ihr Kind in der Schule Probleme hat, aber sie waren keine Experten. Sie verließen sich auf ihr Gefühl, um festzustellen, dass Juliane nicht so lernbehindert ist, um an der Förderschule angemeldet zu werden. Den Lehrern, die das meinten, sind sie heute noch böse, der Sprachheillehrerin, in deren Hände sie ihre Tochter damals – Anfang der 90er Jahre – zusätzlich gaben, dafür umso dankbarer. Die Mutter erinnert sich: „Wir waren bei ihr, damit Juliane das Sprechen übt. Aber daran, dass sie Probleme beim Sprechen hat, lag es nicht, dass sie beim Schreiben so viele Fehler gemacht hat. Juliane zeigt die typischen Anzeichen für eine Lese- und Rechtschreibschwäche, sagte die Sprachheillehrerin.“

Von dem Moment an wussten die Eltern, was zu tun ist. Sie meldeten ihr Kind für eine der ersten Klassen an, die es damals an sächsischen Grundschulen für LRS-Kinder gab. Hannelore Mucke wurde 1991 an der Grundschule Kirchstraße in Bischofswerda für zwei Jahre ihre Lehrerin. An diese Zeit erinnern sich Juliane und die Eltern noch besonders gern. Es waren ganz wichtige Jahre, wie sich später herausgestellt hat. „Ich bin wieder gern zur Schule gegangen“, sagt Juliane. Und die Eltern sind der Überzeugung: „Sie hat durch die LRS an Selbstbewusstsein gewonnen. Davon zehrt sie heute noch.“

Wohin der Weg über die Förderschule geführt hätte, weiß Juliane nicht. Sie will es auch nicht wissen. Dass die LRS und Hannelore Mucke ihr zum Abitur verholfen haben, weiß sie sicher. „Es war ein langer Weg, aber er war richtig“, sagt auch der Vati, der sich allerdings bis heute nicht erklären kann, woher Julianes Schwäche fürs Schreiben und Lesen kommt. „Ich kann’s auch nicht sicher, vielleicht hat sie’s von mir geerbt“, sagt er. Erwiesen ist das nicht.

Zu beheben waren Julianes Schwächen durch den Unterricht in der LRS-Klasse auch nicht restlos. „Ich habe immer noch in Deutsch und Englisch große Probleme. Das war dann auch im Abi so. Null Punkte in der Rechtsschreibung beim Aufsatz“, sagt Juliane. Aber in Biologie und den meisten anderen Fächern war sie gut. Dass nicht alle jungen Leute aus ihrer ehemaligen LRS-Klasse so erfolgreich geworden sind, weiß Juliane. Sie glaubt, dass die Geduld ihrer Eltern auch großen Anteil daran hat, dass sie es erst bis zur zehnten Klasse und danach ins Berufliche Gymnasium geschafft hat. „Wir haben auch nie locker gelassen. Wir sind zu jedem neuen Lehrer gegangen, den Juliane bekommen hat und haben Elternsprechstunden genutzt, um auf diese spezielle Schwäche, die mit Dummheit nichts zu tun hat, hinzuweisen“, sagt die Mutti. Und dennoch: Ganz ablegen wird Juliane Schmidt ihre Deutsch-Probleme nie. Auch das weiß sie.

Ganz verschwindet das

Deutschproblem nie

Aber sie hat gelernt, damit umzugehen. „Sie kann es besser als ich, und das hat ganz sicher mit der LRS-Klasse zu tun. Sie hat damals viel mitgenommen“, sagt der Vater.

Lehrerin Hannelore Mucke ist auf die Erfolge von Juliane Schmidt genauso stolz wie die Eltern. Das Mädchen saß in der ersten LRS-Klasse, die nach der Wende an der Grundschule Kirchstraße in Bischofswerda eingerichtet und von ihr übernommen wurde. Bis heute unterrichtet Hannelore Mucke Kinder mit Schwierigkeiten wie sie Juliane hat. Leicht ist das nicht immer. Ganz im Gegenteil.

Fachleute wissen, dass Eltern heute zunehmend davor zurückschrecken, wenn sie hören, dass ihr Kind eine Beschulung außerhalb der normalen Klasse brauchen. Und sie lehnen es ab – zum Teil aus Angst, ihr Kind könnte für immer einen Stempel aufgedrückt bekommen, der fürs Leben schadet. „Das ist nicht richtig“, sagt auch Mathias Peter, Sprecher im Regionalschulamt Bautzen.

Wenn LRS-Kindern geholfen werden soll, wären zwei Dinge wichtig, sagte er in einem SZ-Interview – dass die Schwäche spätestens in der zweiten Klasse diagnostiziert wird und die Eltern einverstanden sind mit der Beschulung in einer besonderen Klasse. Dass dies ein Weg sein kann – Juliane ist ein Beweis dafür. „Gut, dass wir es so gemacht haben“, sagt Vater Schmidt. Juliane wird sich jetzt für ein Studium in Biologie bewerben.