Mit Gottes Segen an die See

Die Mission ist nicht neu. Wenn am Samstag 9.50 Uhr der Gongschlag der Friedensglocke auf dem Fichtelberg erfolgt, bekommt Vinzenz Brendler wieder Gänsehaut und setzt sich auf sein Rennrad. Schon zum zwölften Mal ist er bei Deutschlands längstem Nonstop-Radmarathon dabei, besser bekannt als Fichkona. Das Ziel ist 605 Kilometer entfernt, das Kap Arkona auf der Insel Rügen. „Es ist immer wieder abenteuerlich, weil man nicht weiß, ob man es schafft und die Bedingungen jedes Mal anders sind“, meint Brendler.
Der katholische Pfarrer aus Pirna weiß, worauf er sich bei der Extremtour einlässt. Er hat schon alles erlebt: zwei Stürze, Kälte, Regen, und im vorigen Jahr hätte ihn fast ein Hitzschlag zum Aufgeben gezwungen. „Mein Trikot war zu eng anliegend, es konnte keine Verdunstungskälte entstehen. Die Kühlfläche fehlte“, erklärt er. Bei der 22. Auflage ist er besser präpariert, auch wenn die Temperaturen diesmal deutlich unter 30 Grad bleiben sollen.
Knapp 190 Radfahrer, darunter sechs Frauen, starten auf dem höchsten Berg Sachsens. Die Begeisterung für die Fichkona, diese besondere Mischung von Ausdauer und Abenteuer, ist unvermindert groß. Trotz hoher Nachfrage bleibt es bei der Starterzahl, damit sich das 33-köpfige Serviceteam entlang der Strecke auch gut um die Pedaleure kümmern kann.
Die Hälfte etwa sind Neulinge, die andere Hälfte – wie Brendler – erfahrene Fichkona-Fahrer, die für gleichmäßiges Tempo unterwegs sorgen. In vier Gruppen starten die Teilnehmer, der 62 Jahre alte Geistliche gehört seit seiner ersten Teilnahme zur ersten, also zur schnellsten. „Mal schauen, wie lange noch“, sagt er. Auch wenn es ausdrücklich kein Rennen ist, steht er ein wenig unter Zeitdruck. Ziel ist es, unter 24 Stunden am Kap Arkona anzukommen.

Wenn die Schnellsten bei einem Fischbrötchen und einem Glas Bier die Beine nicht mehr bewegen und ihre Erlebnisse Revue passieren lassen, ist Brendler schon wieder verabredet. „Ein Freund holt mich ab, und wir gehen zur Heiligen Messe in Bergen“, sagt er.
Der sonntägliche Gottesdienst darf selbst an diesem Wochenende nicht ausfallen. „Sport ist was Schönes. Das sind die kleineren Ziele im Leben. Das große Ziel aber“, sagt er, „gehört einfach immer dazu“. Schon wenn er in der zweiten Gruppen starten würde, käme er womöglich zu spät zur Messe. Also strampelt er mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von etwa 30 Stundenkilometern an die Ostsee und schafft es bisher immer in unter 24 Stunden. „Das geht nur in Gemeinschaft. Wenn ich allein fahre würde, wäre ich spätestens nach fünf Stunden breit.“
In der Nacht meditativ unterwegs
Auf die Polizeieskorte durch Potsdam freut sich Vinzenz Brendler besonders. „Eine herrliche Kulisse, und wir rauschen über jede Kreuzung.“ Wenn er am nächsten Morgen über den Rügendamm rollt, habe das was Erhebendes. Ihm ist bewusst, dass auch wieder mental schwierigere Abschnitte durch die Nacht überstanden werden müssen. Dabei helfen ihm Motivationsgebete. „Wenn man sich darauf konzentriert, dass es wehtut, blockiert man noch mehr, und die Muskeln machen zu. Es hilft dann, die Gedanken woanders hinzulenken, also meditativ unterwegs zu sein.“
Was die Vorbereitung für die Extremtour angeht, vermutet Brendler, hat er die wenigsten Radkilometer in den Beinen. „Als Pfarrer der Gemeinde St. Heinrich und Kunigunde Pirna habe ich gar nicht so viel Zeit“, meint der Hobby-Sportler. Aber er weiß, wie er sich Jahr für Jahr fit bekommt. Im Winter läuft er viel Ski, im Frühjahr steht immer ein Marathon auf dem Programm und erst nach Ostern geht es das erste Mal aufs Rennrad. „Ich trainiere eher kurze und intensive Sachen.“ Seine ersten Radkilometer spult er morgens zwischen 5.45 und 6.45 Uhr runter.

Pfarrer Brendler erlebte schon einige sportliche Abenteuer. Er war mal bei einer Wallfahrt nach Jerusalem dabei, gestartet wurde in Istanbul, die Strecke bis zur Heiligen Stadt ist 3 000 Kilometer lang. Ähnlich weit war der Trip von Dresden nach Santiago de Compostela, dem Ziel des Jakobswegs. „Damals bin ich allein zwei Wochen mit dem Rad gereist.“
Fichkona ist dagegen ein Gemeinschaftsprojekt. Als Brendler 1998 von der Premiere mit sieben Radlern auf dem Fichtelberg in der Zeitung las, dachte er noch: „Die müssen doch blöd sein.“ Doch als er später mal bei einer Taufe direkt darauf angesprochen wurde, musste der radsportverrückte Theologe nicht lange überredet werden und war 2007 das erste Mal am Start. Seitdem ist Fichkona ein fester Termin im gut gefüllten Kalender des Pfarrers.