Von Carola Lauterbach
Diesen Augen entgeht nichts. Mitten im dicksten Landeshauptstadt-Berufsverkehr entdecken sie eine Tafel. Ein Familien-Hotel lädt zum Tanz im Garten ein. Aha! Anhalten, die „Minolta“ zücken, fotografieren, Notizen machen. Später wird Willfried Walter in der Datenbank der Bezirksdirektion nachsehen lassen, ob die Lizenzvereinbarung zwischen dem Hotel und der Gesellschaft für Musikalische Aufführungs- und mechanische Vervielfältigungsrechte, kurz: Gema, so weit gefasst ist, dass diese Tanzveranstaltung stattfinden kann. Oder ob das Hotel zusätzliche Gebühren entrichten muss.
Verdeckter Ermittler?
Bestätigt sich also die Vermutung, dass im Auftrag der Gema verdeckte Ermittler im Einsatz sind? Aber weshalb reicht Walter dann auf seiner Tour überall Visitenkarten über Tresen oder Ladentheken? Willfried Walter versieht sein Gewerbe als einer von deutschlandweit 100 freiberuflichen Beratern für die Gema. Unermüdlich erklärt er seinen Kunden, die manchmal noch gar nicht wissen, dass sie welche sind: Sobald in der Öffentlichkeit Musik über Radio, Fernsehen oder Tonträger abgespielt oder für gewerbliche Zwecke vervielfältigt wird, bedarf es dafür einer Lizenz. Und die kostet Geld. Ganz gleich ob in der Boutique, beim Zahnarzt oder im Hotellift. Immer handelt es sich um geistiges Eigentum von Komponisten und Textern, „und“, so Willfried Walter, „Arbeit muss bezahlt werden“. Klar. Dagegen hat kaum jemand etwas einzuwenden. Nur, sie hätten doch schon ihren Obolus an die GEZ (die Gebühreneinzugszentrale der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten in der Bundesrepublik Deutschland) entrichtet … Walter bleibt immer ganz ruhig, wenn er diesen Haupt-Irrtum aufklärt. Im Geheimen weiß er wohl: Zwar feiert seine Gema in diesem Jahr ihr hundertjähriges Bestehen, doch dass sie nicht den öffentlich-rechtlichen Sendern zu Gebühren, sondern Komponisten zu ihren Tantiemen verhelfen will, wird den meisten hier zu Lande möglicherweise auch in den nächsten hundert Jahren noch nicht so ganz klar sein.
Das Einzugsgebiet des früheren Dresdner Flugzeugbauers sind die Stadt Dresden, der Niederschlesische Oberlausitz- und der Weißeritzkreis, die Kreise Kamenz, Sächsische Schweiz und Löbau-Zittau. Seit 1991 für die Gema im Einsatz, absolviert Walter monatlich 2 500 bis 3 500 Kilometer. Er „schlachtet“ die Anzeigenteile der Zeitungen nach Neueröffnungen von Restaurants, Geschäften, Fitness-Studios, Arztpraxen aus, hat den oben beschriebenen Blick für Aushänge und Tafeln aller Art, fährt hin, stellt sich vor, erklärt sein Kommen, erläutert die Tarife, gibt die Mitteilung an die Gema-Bezirksdirektion weiter, die die Verträge macht und das Geld einfordert. Manchmal taucht Walter aber auch urplötzlich nachts in der Diskothek auf – oder im Massagesalon. Immer sehr höflich, und nur mit Visitenkarte und Tarifliste oder Laptop bewaffnet.
Höflicher Berater
Im neu eröffneten Döner im Dresdner Hechtviertel riecht es zwar sehr verführerisch, doch die Tische sind um die Mittagszeit alle leer. Es ist viel zu heiß. Aus den Boxen über dem Tresen erklingt türkische Musik. Die beiden Köche verstehen Walter nicht richtig, wollen sein Kärtchen aber dem Inhaber weitergeben. Höflich bieten sie leckeren grünen Tee an. Willfried Walter muss weiter. Die Besitzerin eines thailändischen Restaurants hatte ihn gebeten zu kommen. Der Berater erläutert den Grenzfall. Bis 100 Quadratmeter Gastfläche verlangt die Gema fürs Abspielen von CDs jährlich 189,72 Euro. Die nächste Kategorie – Raumgröße bis 250 Quadratmeter – sieht aber schon 378,84 Euro vor. Das Thai-Restaurant im Stadtteil Striesen ist 140 Quadratmeter groß. Willfried Walter wird seiner Rolle gerecht, nicht als gnadenloser Geldeintreiber – Inkassorecht hat er ohnehin nicht –, sondern als freundlicher Berater. Er rät, die Boxen im kleineren Teil der Gaststätte einfach stumm zu schalten. Die junge Frau hat das getan. Vorsichtshalber soll Willfried Walter aber nachsehen, ob das reicht. Es reicht. Ein Einzelhändler im Stadtteil Strehlen, bei dem Walter schon zweimal war, bestreitet, jemals einen Vertrag erhalten zu haben. „Bringen Sie das Ding her, ich unterschreibe und ab geht er“, sagt der Inhaber schon bisschen genervt, aber cool. Und Walter arbeitet seine Liste weiter ab.
Nein, richtig blöd gekommen ist ihm auf dieser Tour niemand. Aber ob das immer so ist? „Zu 95 Prozent ist es so“, sagt Willfried Walter. Über die restlichen fünf lässt er sich nichts entlocken. Ihm mache dieser Job riesig Spaß. Immerhin konnten – auch dank seines Engagements – im vergangenen Jahr 810 Millionen Euro eingenommen und an die 60 000 Gema-Mitglieder ausgeschüttet werden. Die Gegenwart hat das Wilhelm-Busch-Wort ad absurdum geführt, wonach Musik oft als störend wird empfunden, derweil sie mit Geräusch verbunden. Hintergrundmusik allüberall. Auch in der Telefonwarteschleife. Kostet übrigens 151,68 Euro. Im Jahr.