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Mutter und Tochter flüchten

Wegen des raschen Vordringens der sowjetischen und polnischen Truppen in Niederschlesien wurden im Januar 1945 die Außenlager des KZ Groß-Rosen auf Befehl des Höheren SS- und Polizeiführers für Schlesien evakuiert.

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Von Dr. Hans Brenner

Wegen des raschen Vordringens der sowjetischen und polnischen Truppen in Niederschlesien wurden im Januar 1945 die Außenlager des KZ Groß-Rosen auf Befehl des Höheren SS- und Polizeiführers für Schlesien evakuiert. So erhielten auch die Außenlager Schlesiersee I und II, Grünberg, Christianstadt und Neusalz diesen Befehl, die dort inhaftierten und zur Zwangsarbeit eingesetzten etwa 5 000 jüdischen Frauen und Mädchen im Fußmarsch nach Westen, ins Reichsinnere zu treiben. Nach vielen Kilometern langem, opferreichen Marsch über Weißwasser und Bautzen durchzogen die nur äußerst dürftig bekleideten und ausgehungerten Frauen und Mädchen kurz vor der Bombardierung Dresdens auch das Gebiet des südlichen Teils des Kreises Kamenz. Nur eine der Kolonnen wurde auf Dresden zu getrieben und musste dort die Vernichtung der sächsischen Landeshauptstadt in den Februartagen miterleben. Nach Durchquerung der brennenden Stadt setzte diese Kolonne ihren Marsch durch Sachsen bis nach Helmbrechts in Oberfranken fort.

Mörderische Schüsse in den Hinterkopf

Die Marschführer der anderen Kolonnen ließen diese nach Süden abschwenken, um das brennende Dresden zu umgehen. Sie überquerten die Elbe bei Pirna, überschritten den Erzgebirgskamm und marschierten in Nordböhmen bis Zwodau bzw. Eger. Von der auf Dresden zu marschierenden Kolonne ist bisher bekannt, dass es sich um die Frauen und Mädchen des Außenlagers Schlesiersee II und etwa die Hälfte der im Außenlager Grünberg inhaftiert gewesenen handelt, etwa noch 1 200 von den am 29. Januar 1945 in Grünberg abmarschierten Frauen und Mädchen. In Rattwitz bei Bautzen hielten sie im Rittergut Nachtrast. Am Morgen des Abmarschtages, dem 1. Februar 1945, ließ der Kolonnenführer Jäschke in einer Kiesgrube beim Nachbarort Salzenforst 43 Frauen erschießen. Zwei Überlebende, Sara Lewiton und Lili Silbiger, haben berichtet, wie sie mit noch vier anderen Frauen Schaufel und Hacke bekommen haben und sich gemeinsam mit den zum Tode bestimmten Frauen in den Wald begeben mussten: „Wir mußten dort eine flache Grube ausheben. Der Boden war sehr gefroren. Die Wachleute standen dabei, rauchten und unterhielten sich. Unsere zum Tode verurteilten Kameradinnen standen wortlos … Wir, die die Grube gegraben hatten, sollten uns daneben stellen. Die Opfer wurden in Gruppen zu je fünf Frauen an die Grube geführt und mit je einem Schuß in den Hinterkopf getötet. Das volle Grab mit den Leichen und dem Blut mußten wir dürftig mit Erde bedecken. …Dann ging der Marsch weiter.“

Welchen Weg die Kolonne an diesem 12. Februar 1945 noch genommen hat, ist bisher noch nicht bekannt. Eine mögliche Spur könnte sich aus den Mitteilungen von Zeitzeugen aus Burkau und Rammenau ergeben. Sie berichten, dass in den Scheunen des Rittergutes Niederburkau eine Kolonne von Frauenhäftlingen über Nacht vom 12. zum 13. Februar 1945 eingesperrt gewesen sei. Die Frauen und Mädchen mussten sich in einem Bach, der zwischen zwei Gehöften floss, völlig nackt waschen. Das war ein äußerst böser „Faschingsscherz“ der Bewachungsmannschaften.

Die Kolonne ist nach Rammenau weitergezogen, wo sie ebenfalls von Zeitzeugen beobachtet wurde, die berichten, dass die Frauen und Mädchen, wahrscheinlich von fürchterlichem Hunger getrieben, versuchten selbst von Misthaufen Küchenabfälle aufzuheben. Der weitere Weg der Kolonne soll in Richtung Hauswalde – Bretnig – Großröhrsdorf gegangen sein.

Keine Kenntnis über die geografische Lage

Eine Überlebende, die tschechische Jüdin Stepanka Hallerova, die sich mit ihrer Tochter Helena Bischka in dieser Kolonne befand, konnte während dieses Marschabschnittes mit der Tochter flüchten. Sie sagte aus: „Wir marschierten am 14. Februar 1945 irgendwo in Richtung Radeberg nahe Dresden.“ In welcher Ortschaft die Kolonne vom 13. zum 14. Februar Nachtrast hielt, konnte noch nicht ermittelt werden. Am 16. Februar 1945 müssen die Frauen und Mädchen, 13- und 14-Jährige darunter, das brennende Dresden passiert haben. Wo sie in den Nächten vom 14. zum 16. Februar lagerten, ist noch unbekannt. Da noch viele Teilstücke des Marschweges dieser Kolonne, einige Übernachtungsorte, mögliche weitere Grabstellen oder gelungene Fluchtversuche bisher unbekannt geblieben sind, geht die Bitte an die Leser der Sächsischen Zeitung, die im Februar 1945 als damals vielleicht 10- bis 16-jährige Zeitzeugen des Marsches dieser Kolonne von Häftlingsfrauen geworden waren, dieses, möglichst unter Angabe der beobachteten Marschwege (woher – wohin?), eventueller Übernachtungsorte, Grabstellen usw. an Dr. Hans Brenner, Ludwig-Würkert-Straße 12, 09405 Zschopau, mitzuteilen.