Neue Genossenschaft gründet sich

Der Wohnungsbau boomt – unter anderem in der Äußeren Neustadt. Hier schießt Neubauprojekt um Neubauprojekt aus dem Boden, die Mieten steigen. Das bringt Frust mit sich, wie Ergebnisse der Kommunalen Bürgerumfrage dieses Jahres zeigen: 64 Prozent der Befragten erklärten darin, unzufrieden oder sehr unzufrieden mit dem Angebot bezahlbaren Wohnraums zu sein. In keinem anderen Stadtteil fiel dieser Wert so hoch aus.
Mit durchschnittlich 9,30 Euro Miete pro Quadratmeter ist die Neustadt knapp hinter Loschwitz und Schönfeld-Weißig laut der Erhebung das hochpreisigste Wohnviertel Dresdens. Alternativen und bezahlbaren Wohnraum in ganz Dresden zu bieten: Mit diesem Ziel gründet sich nun eine Initiative.
Rund zehn Menschen mit unterschiedlichen Biografien tüfteln seit gut 18 Monaten am Projekt Genossenschaft. In der Martin-Luther-Straße sitzen sie im Ladengeschäft Kosmotique zusammen und diskutieren über Details. Im September soll der Stein mit einer Vorgründung ins Rollen kommen. Doch das Wichtigste fehlt noch: ein erstes Genossenschaftshaus. Schon jetzt sei klar, es soll nicht bei einem Gebäude bleiben. Die Gruppe hat Größeres vor. „Wir wollen Stadt über die Grenzen der eigenen Wohnungen hinausdenken“, sagt Johannes Feldbauer, der als Doktorand an der Universität arbeitet. „Wir haben ein klares politisches Ziel: Wir möchten dem Markt Häuser entziehen. Wir suchen kein Haus für uns, sondern wollen die Struktur verändern, damit Mieten bezahlbar bleiben.“
Viele der Aktiven wohnen in und um die Neustadt. Daher kommen auch die ersten Kontakte zu Hausgemeinschaften aus dem Viertel. Vor Monaten haben sich zum Beispiel Mieter der Kamenzer Straße 36 an das entstehende Netzwerk gewandt, weil sie den Verkauf ihres Hauses verhindern wollten. Für zwei Millionen Euro sollte der Altbau einer Berliner Eigentümerin den Besitzer wechseln. Die Hausgemeinschaft wollte dem etwas entgegensetzen und das Gebäude genossenschaftlich erwerben. Es hätte das erste Objekt der Dachgenossenschaft werden können. Doch der Markt war schneller. Das Haus wurde verkauft. Der von den Mietern angebotene Preis sei einfach zu niedrig gewesen, heißt es.
„Es ging uns mit anderen Objekten ähnlich. Wir wurden von der großen Nachfrage an Häusern und dem geringen Angebot eingeholt“, erzählt Torsten Birne, der als Journalist tätig ist. Dennoch sei immer klar gewesen: Nichts überstürzen. „So eine Gründung braucht Zeit. Eine Genossenschaft ist ein rechtlich sehr komplexes Phänomen. Und wir sind alle berufstätig und bauen das nebenbei auf. Damit das Ganze Hand und Fuß hat, lassen wir uns Zeit.“
Derzeit sprechen die Mitglieder mit diversen Hausgemeinschaften. Feldbauer betont, dass die Neustadt nicht im Fokus des Projekts steht, sondern die Genossenschaft Wohnen Gestalten Dresden (WoGe) überall Ansprechpartner sein will. „Bisher mussten wir nicht nach Objekten suchen. Das hat mit Mund-zu-Mund-Propaganda geklappt“, so die freischaffende Künstlerin Stefanie Busch. Und trotzdem: „Der Wohnungsmarkt ist sehr angespannt. In dieser Situation Häuser oder Grundstücke zu finden, ist ein Drahtseilakt“, sagt sie.
Interessant sei das Konzept für Gruppen, die sich mit dem Gedanken tragen, ein Haus zu kaufen oder zu bauen. Die Dachgenossenschaft unterstützt insofern, dass sie den Bankkredit aufnimmt. Die Genossenschaftler müssen dazu einen finanziellen Eigenanteil aufbringen. Der Solidargedanke wird dabei großgeschrieben. „Unsere Idee ist, dass Mieten in einem Haus gleich verteilt werden – je nach Einkommen. Nicht nur der Kauf soll solidarisch organisiert werden, sondern auch das Wohnen, damit alle Chancen auf bezahlbares Wohnen haben. Auch die Altenpflegerin, die kein Geld hat oder eben nicht kreditwürdig ist.“ Das sagt Jan Hartmann, der als Informatiker bei der Sächsischen Aufbaubank arbeitet. „Jedoch entscheidet das im Detail jede Hausgemeinschaft selbst“, ergänzt Feldbauer und betont, den Mietern solle so viel Gestaltungsfreiheit wie möglich eingeräumt werden. Im Mietpreis soll zudem ein Solidarbeitrag enthalten sein, der für Gemeinwohlaufgaben der gesamten Genossenschaft verwendet wird – und um ein finanzielles Polster für neue Projekte zu schaffen.
Ein Wohnrecht auf Lebenszeit zu einer kleinen Miete: Das ist das Prinzip, das Genossenschaften in Dresden seit Jahren an den Tag legen. Etwa 20 Prozent der Dresdner Wohnungen befinden sich in ihrem Eigentum. Die acht größten verzeichneten in ihren Beständen im Jahr 2017 eine Leerstandsquote von 0,5 bis 3,3 Prozent. So geht es aus dem Wohnkonzept der Stadt Dresden hervor. Die Durchschnittsmiete lag 2017 mit 5,23 bis 5,65 Euro pro Quadratmeter dabei unter dem Dresdner Durchschnitt von 6,48 Euro.