Von Bettina Klemm
Vielfalt und Kleinteiligkeit, statt große einförmige Häuserblöcke: So wünschen sich viele Dresdner ihre Stadt, aber auch die Gesellschaft historischer Neumarkt Dresden. Sie erhält nun auch von dem Züricher Stadtplaner Professor Jürg Sulzer Unterstützung. Er spricht von „Raumgeborgenheit“, nach der sich Menschen sehnen. Dabei sollten Geschichtliches und Heutiges verschmelzen. Er fordert eine Rückbesinnung auf historische Stadtstrukturen, auch auf die Gründerzeit. Stadtplanung und Politik sollten konsequent auf Strukturen setzen, in denen sich Menschen wohlfühlen.
Ein neuer Konflikt bahnt sich derzeit am Neumarkt an. Der Freistaat hat die große Fläche hinter dem Polizeipräsidium an die CG-Gruppe verkauft. Diese will dort etwa 130 Millionen Euro investieren. Dabei sollen hauptsächlich Wohnungen entstehen sowie das berühmte Palais Hoym wiederaufgebaut und als Hostel genutzt werden. Das begrüßt die Neumarkt-Gesellschaft ausdrücklich. „Wir hätten gern das gesamte Ensemble mit dem Gartenhaus und dem Palais Riesch“, sagt der Vorstand der Neumarkt-Gesellschaft Torsten Kulke. In vielen historischen Ansichten wurden beide Gebäude als eine Einheit zwischen Rampischer Straße und Landhausstraße gesehen. Kulke hat sich bereits überzeugen lassen, dass der Platz für das Gartenhaus dazwischen nicht ausreicht. Die 25 Meter hohe Brandwand am Polizeipräsidium verhindert dies. Aber wenigstens die Fassade vom Palais Riesch sollte rekonstruiert werden, bittet Kulke.
Das schließt der Dresdner CG-Niederlassungsleiter Bert Wilde nicht völlig aus. Die CG-Gruppe werde aber in Absprache mit der Stadtplanung und der Gestaltungskommission einen Fassadenwettbewerb ausloben. Das ging aber schon einmal schief. Auch Neumarkt-Investor Michael Kimmerle hatte einen Fassadenwettbewerb ausgelobt. Am Ende empfahl die Gestaltungskommission einen modernen Bau mit Flachdach, der weder dem Investor gefiel, noch sich an die Grundsätze für den Wiederaufbau des Neumarkts orientierte.
„Warum soll schon wieder so ein Wettbewerb gemacht werden? Die Gestaltungskommission, die eigentlich gegen die Interessen der Stadtgesellschaft arbeitet, ist nicht einmal mehr legitimiert“, kritisiert Kulke. Ihm geht es längst nicht mehr nur um den Neumarkt. „Es brodelt in der Stadt schon lange. Moderne Architektur und moderner Städtebau haben es in den vergangenen Jahrzehnten kaum geschafft, gute Stadträume zu schaffen“, sagt er. Bei den Dresdnern wachse das Misstrauen gegenüber einer „Kistenarchitektur“. In der Kritik steht derzeit die Architektur am Postplatz. Dadurch werde ein ganzer Berufsstand in Haftung genommen.
„Der Fehler in Dresden, aber auch in den meisten anderen Städten, besteht darin, dass große Grundstücke an einzelne Investoren verkauft werden. Das führt zu Einzelgebäuden und nicht zu einem urbanen Siedlungsbau. So geht die Seele der Städte verloren“, bedauert Sulzer. Statt eines Wechselspiels zwischen Häusern, Gassen, Passagen, Höfen und Parks werden die Städte heutzutage von den Anforderungen der Verkehrsplaner und den Investorenvorstellungen geprägt.
Jürg Sulzer lobt ausdrücklich die Fachkenntnisse, die sich Torsten Kulke angeeignet habe. Der Wiederaufbau des Dresdner Neumarkts hat auch andere Städte wie Frankfurt und Potsdam zu einem Umdenken bewegt. Kommentar
„Wie bauen wir Stadt?“ heißt ein Buch der Gesellschaft historischer Neumarkt Dresden über den Streit um Tradition und Moderne im Städtebau. Es ist im Michael Imhof Verlag erschienen und auch im Buchhandel erhältlich.