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Der Lebensretter mit dem siebenten Sinn

Als eine Seniorin in Neukirch vermisst wird, radelt Daniel Dietze los, um sie zu suchen. Er will schon aufgeben, da kommt ihm ein glücklicher Zufall zu Hilfe.

Von Ingolf Reinsch
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Daniel Dietze am Waldweg, der von der Waldsiedlung in Neukirch abzweigt. Rund 100 Meter entfernt fand er die vermisste Seniorin.
Daniel Dietze am Waldweg, der von der Waldsiedlung in Neukirch abzweigt. Rund 100 Meter entfernt fand er die vermisste Seniorin. © Steffen Unger

Neukirch. Der Hubschrauber, der lange Zeit über Neukirch kreiste, war nicht zu übersehen und schon gar nicht zu überhören. Daniel Dietze nahm ihn im Nachbardorf Tautewalde wahr. Der erfahrene Feuerwehrmann schaute sofort im sozialen Netzwerk Facebook nach, was da in seinem Heimatdorf los ist. Im Neukircher Seniorenwohnhaus wurde eine 85 Jahre alte Bewohnerin vermisst. Mit ihrem Rollator soll sie das Haus verlassen haben. Wer sie sieht, solle bitte umgehend den Polizei-Notruf wählen, war dort zu lesen.  

Der Helfer kennt den Wald - und seine Gefahren

Daniel Dietze, daran gewöhnt, Menschen in Not zu helfen, überlegte nicht lange, sondern schwang sich aufs Fahrrad und fuhr nach Neukirch, um auf eigene Faust die Gegend rund ums Seniorenwohnhaus abzusuchen. "Es war das Bauchgefühl, dem ich gefolgt bin", sagt der Neukircher heute zu dem Abend des 21. Juli, an dem er zum Lebensretter wurde. 

Wie von einem siebenten Sinn geleitet, fuhr er mit seinem Rad die Waldwege nahe der Seniorenwohnstätte ab. Der 30-Jährige kennt die Gegend sehr gut - und die Gefahren gerade für ältere Menschen, denen es schwer fällt, sich zu orientieren. 

Am Waldrand fahren die Züge der Strecke Dresden - Zittau vorbei. Gleich in deren Nähe befinden sich eine kleinere und eine größere Schlucht. Letztere nennen die Neukircher Teufelsschlucht. Wer dort den Halt verliert, kann mehrere Meter in die Tiefe stürzen und sich schwer verletzen. Auch den ehemaligen Steinbruch oberhalb des Sportplatzes an der Waldsiedlung hatte Daniel Dietze ins Kalkül gezogen.  

Als er gegen 21 Uhr seine Suche im Wald begann, war bereits ein Großaufgebot der Polizei im Einsatz. Möglich, dass wenig später auch die Feuerwehr hinzu gezogen worden wäre, um die vermisste Frau zu suchen. Denn es brach schon die Dämmerung herein. 

Nach knapp einer Dreiviertelstunde wollte Daniel Dietze seine Suche im Wald abbrechen und zurück ins Dorf fahren. Er entschied sich dann aber doch für einen anderen Weg. Ein glücklicher Zufall. Gegen 21.45 Uhr entdeckte er die Frau an einer kleinen Lichtung nur 100 Meter von der Waldsiedlung entfernt. Sofort setzte er  den Notruf ab. 

Die Frau saß erschöpft an einer Lichtung

Völlig ruhig, aber erschöpft habe die Frau unterhalb des Bahndammes gesessen, berichtet Daniel Dietze. Ob auf ihrem Rollator oder im Gras, konnte er vom etwa zehn Meter entfernten Weg nicht erkennen. Da die Frau äußerlich keine Anzeichen einer Verletzung hatte und er nicht wusste, wie sie reagieren wird, wahrte er erst einmal Distanz und ging statt dessen vor zur Straße, um dort auf die Polizisten zu warten. Zufällig standen dort zwei Passanten, die wiederum zu der Seniorin gingen.  

Vermutlich einen reichlichen halben Kilometer ist die Seniorin mit ihrem Rollator gelaufen, nachdem sie die Wohnanlage unbemerkt verlassen hatte. Erst auf glatten Wegen im Wohngebiet, dann auf dem holprigem Waldweg über Baumwurzeln und Steine. Ein Glück, dass sie dort nicht hingefallen ist. 

Dass Senioren Pflegeheime unbemerkt verlassen, kommt selten vor, lässt sich aber nicht 100-prozentig vermeiden, wie die Betreiber von Seniorenwohnhäusern und altenbetreuten Wohnanlagen betonen. Denn es sind offene Einrichtungen, in denen sich die Bewohner frei bewegen können. Zwei Drittel bis drei Viertel der Bewohner in Pflegeheimen leiden erfahrungsgemäß an Altersdemenz. Diesen Menschen fällt es oft schwer, sich zu orientieren und, wenn sie schon einmal das Haus verlassen haben, zurückzufinden. 

In diesem Fall nahm die Suche ein gutes Ende. Die 85-Jährige konnte dem Rettungsdienst übergeben werden, der sie zur Vorsorgeuntersuchung ins Krankenhaus brachte. 

Wehrleiter: "Genau solche Mitglieder brauchen wir"

Das Handeln von Daniel Dietze sei lehrbuchreif gewesen, sagt Neukirchs Gemeindewehrleiter Hans-Georg Zenker. "Das zeigt, dass die Ausbildung bei der Feuerwehr etwas bringt".  Daniel Dietze lege als Feuerwehrmann eine sehr hohe Dienstbereitschaft an den Tag, lobt der Wehrleiter. 

Seit seinem 18. Lebensjahr ist Daniel Dietze, der in der Produktion der Schiebocker Fleischverarbeitungsgesellschaft in Bischofswerda arbeitet, Mitglied der freiwilligen Feuerwehr seines Heimatortes. Feuerwehrmann wurde er, weil er helfen möchte, Leben zu retten. Zu den Einsätzen, die ihn bisher am meisten prägten, zählen der Brand eines Kuhstalles in Weifa und ein Lagerhallen-Brand des Neukircher Agrarbetriebes. Und jetzt auch die Suche nach der vermissten Seniorin. 

Für das couragierte und umsichtige Handeln bedankte sich auch die Polizei bei Daniel Dietze. Der Leiter des Bautzener Reviers Mario Steiner kam dafür nach Neukirch und überbrachte ein Präsent und einen Einkaufsgutschein fürs Bautzener Kornmarkt-Center.  

Daniel Dietze habe "ein hohes Maß an Zivilcourage" an den Tag gelegt, sagt Hans-Georg Zenker. Genau solche Mitglieder brauche die freiwillige Feuerwehr. "Unsere Kameraden sind technisch hervorragend ausgestattet. In der aktiven Abteilung kann jeder ab dem 16. Lebensjahr mitmachen. Schon ab acht Jahren gibt es die Jugendfeuerwehr", wirbt er.

Interessierte können sich über die Homepage der Feuerwehr anmelden. Wer sich den aktiven Dienst nicht zutraut, kann die Feuerwehr auch als Mitglied im Förderverein unterstützen. 

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