"Nicht auf Demokratiefeinde hereinfallen"

Meißen. Er sei zunächst erschrocken gewesen, als er die Aufnahmen vom versuchten Sturm auf den Berliner Reichstag gesehen habe. So schildert der für die SPD im Sächsischen Landtag als Abgeordneter sitzende Frank Richter seine erste Reaktion. Die Bilder sollten ganz bewusst produziert und schnell in die Welt gesendet werden, so der Meißner am Dienstagvormittag in einem Interview mit dem Deutschlandfunk. Es sei um Provokation und Destabilisation sowie Destruktion der politischen Grundordnung der Bundesrepublik gegangen.
Beim Nachdenken hätten ihn jedoch Zweifel beschlichen, so Richter gegenüber DLF-Redakteur Dirk-Oliver Heckmann. Man dürfe nicht auf Demokratiefeinde hereinfallen, so der frühere Leiter der sächsischen Landeszentrale für politische Bildung. Es sei doch erkennbar, dass solche Bilder produziert werden sollten, um die Gesellschaft in eine helle Aufregung zu versetzten. Die Aufnahmen dürften seiner Ansicht nach nicht bagatellisiert, jedoch auch nicht dramatisiert werden. Ein sehr, sehr kleiner Teil der Gesellschaft schätze die Demokratie nicht und wolle diese möglicherweise zerstören. Dabei handele es sich jedoch keinesfalls um "das Volk", so der 60-Jährige.

Richter begrüßte Pläne, den Reichstag gegen ähnliche Übergriffe künftig auch außerhalb von Sitzungstagen des Parlamentes stärker zu sichern. Es handele sich bei dem Gebäude "um den Ort der Demokratie schlechthin." Gleichzeitig sprach er sich dagegen aus, Versammlungen wie die Corona-Proteste vom vergangenen Sonnabend in Berlin von vornherein zu verbieten. Würden die Prinzipien des Rechtsstaates aufgeben, hätten seine Feinde gewonnen. Erst wenn es während solcher Veranstaltungen zu rechtswidrigen Handlungen komme, sollte konsequent eingeschritten werden.
Gefragt nach den Motiven, welche die Protestler aus ganz unterschiedlichen Bereichen der Gesellschaft antrieben und teils einten, sprach der Meißner von einem "diffusen Gefühl des Unmutes" bei vielen Menschen. Auf einer zweiten Ebene habe er den Eindruck, dass die Gesellschaft in Teilen eine tiefe Orientierungs- und Ziellosigkeit erfasst habe.
"Werde weiter Sachpolitik betreiben"
Ebenfalls am Dienstag zu Wort gemeldet hat sich der Meißner AfD-Landtagsabgeordnete Thomas Kirste. Mit seinem Schreiben bezieht er sich auf den SZ-Beitrag "Landratskandidat teilt Reichsbürger-Thesen". Die Berichterstattung zu seiner Teilnahme an der "Querdenken-Demonstration" in Berlin empfinde er als "tendenziös und unsachlich".
Falsch sei, dass er Reichsbürgerthesen teile, so der 43-Jährige. Wertungsfrei habe er wiedergegeben, dass die Umsetzung des Artikels 146 des Grundgesetzes gefordert wurde. Dieser umfasse die Verabschiedung einer Verfassung, die zu den höchsten Gütern einer freien Demokratie gehört. Darin sehe er keine Reichsbürgerthesen, da letztere das Grundgesetz ablehnen.
"Eine Demokratie lebt von verschiedenen Meinungen und Diskursen. Wenn hunderttausende Menschen aller politischen Richtungen auf die Straße gehen, sollte dies ein Zeichen für die Regierenden sein, dass sie etwas falsch machen und nicht die Demonstranten", so Kirste. Wenn Politiker mit Arroganz, Ignoranz und Verachtung reagierten, sei dies einer Demokratie nicht zuträglich.
Ein seriöser Journalismus sollte sich seiner Ansicht nach damit auseinandersetzen, warum die Menschen diese oder jene Meinung vertreten. Der wesentliche Teil seines Facebook-Eintrages habe versucht, hierauf Antworten zu geben. "Weiterhin werde ich Sachpolitik betreiben, werde aber unbedingt die Bürger unseres Landkreises anhören", so der AfD-Politiker abschließend.
Bekenntnis zum Grundgesetz gefordert
Problematisch sieht der Oschatzer Rechtsanwalt und CDU-Kommunalpolitiker Albert Pfeilsticker den unkommentierten Verweis von Kirste auf "eine verfassungsgebende Versammlung nach Artikel 146 des Grundgesetzes". "Beamter kann nur werden, wer hinter dem Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland steht und die rechtmäßige Existenz dieses Staates nicht negiert", so der frühere Stadt- und Kreisrat. Verhalte es sich anders, müsste bei einer Wahl von Thomas Kirste zum Landrat des Landkreises Meißen am 11. Oktober 2020 das sächsische Innenministerium der Ernennung zum Landrat und Wahlbeamten widersprechen.
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