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Nirgends kauft man so persönlich

Der Markt an der Lingnerallee ist der beliebteste Wochenmarkt Dresdens. Es gibt aber auch Dinge, die den Händlern Sorgen machen. 

Von Melanie Schröder
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Bei ihm stehen die Leute Schlange: Frischen Fisch gibt es auf dem Sachsenmarkt nur bei David Fichtner.
Bei ihm stehen die Leute Schlange: Frischen Fisch gibt es auf dem Sachsenmarkt nur bei David Fichtner. © René Meinig

Ein kräftiger Schlag genügt. Trifft er mit dem Holzknüppel die richtige Stelle, zappelt der Fisch unter seinen Händen nur noch Sekunden. David Fichtner steht mit Gummischürze und orangefarbenen Handschuhen auf der Ladefläche seines Transporters und arbeitet routiniert. Erst keschert er die Fische aus den Wasserbecken, dann schlägt er Karpfen und Forellen auf den Kopf. Er packt sie fest und streckt sie seinem Kollegen Tobias Flohrer entgegen. Der stülpt dem Fisch in eine Plastiktüte über und wirft ihn auf die Waage. Frischer kann man Fisch nicht kaufen als freitags auf dem Sachsenmarkt.

Auf einem Klapptisch steht die Kasse der beiden Händler. Und wie jede Woche wartet Winfried Kalfa davor. Er kauft hier regelmäßig ein – heute Karpfen. Dass er ihn zu Hause selbst ausnehmen muss, stört ihn nicht: „Ich kenne das aus meiner Kindheit. Das macht mir nichts.“ Nicht nur die Nostalgie treibt den Rentner zum Markt, sondern auch die Qualität der Produkte und das Miteinander. „Man kennt die Händler. Es ist persönlicher als in der Kaufhalle. Das mag ich.“

Das Traditionsformat Sachsenmarkt ist 1990 entstanden. Neben gut 500 Fischen, die Fichtner und Flohrer unters Volk bringen und damit ein gutes Geschäft machen, wie sie sagen, gibt es auf der Lingnerallee alles aus der Region. Frisch gebackenes Brot, Honig vom Imker, Eier aus Freilandhaltung, Obst und Gemüse aus eigenem Anbau. Zum Beispiel am Stand von Beate Spindler.

Die kleine Frau mit den wachen Augen verkauft Äpfel. Sie ist ein Markturgestein. Seit 18 Jahren kommt sie jeden Freitag, „weil im Vergleich zu anderen Märkten der Publikumszuspruch hier der beste ist“, erklärt sie.

Wasser tropft von den Regenschirmen in die Shampion-, Boskop- und Pinova-Stiegen, wenn sich Kunden über die Auslage beugen. Manche holen einzelne Äpfel heraus und studieren sie, bevor sie in die Tüte wandern. Spindler hält sich wohlwollend zurück – so wie der gesamte Markt. Kein Marktschreier preist hier seine Ware an, es geht geschäftig, aber ruhig zu. Senioren schieben ihre Trolleys über die nassen Wege. Die Händler haben hinter ihren Ständen entweder richtig zu tun oder lassen mit verschränkten Armen den Blick schweifen.

„Klar, dass bei dem Wetter weniger los ist“, sagt Spindler. Es ist aber nicht nur der Regen, der alles gemütlicher macht. Obwohl das Bewusstsein für regionale Lebensmittel gesellschaftlich gestiegen ist, werden die Kunden laut Spindler immer älter. „Junges Publikum wächst kaum nach. Viele sind im hohen Alter. Da merkt man sofort, wenn manche nicht mehr kommen. Es sind in den letzten Jahren weniger geworden.“ Und da ist noch ein Problem: Neue Händler, die zu Billigpreisen verkaufen. „Für uns Selbsterzeuger wird es schwer, wenn andere im Großhandel Waren einkaufen und sie billig weitervertreiben. Darauf sollte die Marktleitung achten und Händler genauer auswählen“, findet sie.

Um Konkurrenzdruck braucht sich Gary Krokowski heute offenbar nicht zu sorgen. Vor seinem Gemüsestand wartet eine Schlange. Er verkauft die letzten Radieschen aus dem Freiland. Gut gehen auch die Möhren, sagt der 33-Jährige und tritt von einem Bein aufs andere, weil er nicht aufgehalten werden will. Schließlich klingelt die Kasse vor allem vormittags, gegen Nachmittag wird es immer leerer. Manche sagen, der Markt könne eigentlich schon 14 Uhr schließen.

Bei Gary Krokovski (l.) herrscht reger Andrang 
Bei Gary Krokovski (l.) herrscht reger Andrang  © René Meinig

Krokowski zuckt dazu mit den Schultern. Er findet das nicht so dramatisch und erklärt kurz angebunden: „Ich muss wieder.“ Aus einer Plastikbox angelt er drei krumm gewachsene Möhren und hält sie Elisa Fiedler vor die Nase. Aber die ist gar nicht überzeugt. „Nee“, wehrt sie ab. „Da habe ich so viel Verschnitt, das lohnt sich für mich nicht.“

Für die Seniorin ist der Markt eine Art Nachbarschaftspflege. Sie wohnt um die Ecke und kauft hier seit dem ersten Tag ein. „Mir ist wichtig, dass die Waren frisch sind. Und dass ich weiß, woher sie kommen.“ Das allein lockt sie aber nicht – manchmal sogar zweimal am Tag. „Man kennt sich, man plaudert. Das schafft eine besondere Atmosphäre in einer anonymen Zeit. Sie müssen öfters kommen, um das selbst zu erleben.“