Herr Hansen, wo sind Sie gerade?
Heute bin ich erstmals im Homeoffice in Bautzen, aber meist bin ich in der Regionaldirektion in Chemnitz – direkt vor Ort bei meinen Mitarbeitern. Ich führe viele Telefonate und nutze Skype.
Und wo sind die 6.000 Mitarbeiter der sächsischen Arbeitsagenturen und Jobcenter – auch im Homeoffice?
Die meisten Mitarbeiter sind in ihren Büros. Aber schon bisher hatten 10 bis 15 Prozent die Möglichkeit zum Homeoffice, um Beruf und Familie besser zu vereinbaren. Für diesen technischen Fortschritt werden wir jetzt belohnt. Gut ein Drittel der Mitarbeiter kann dadurch besonders flexibel arbeiten, im Homeoffice oder innerhalb des Hauses mit neuen Aufgaben – unsere IT macht es möglich.
Die Angestellten haben neue Aufgaben bekommen?
Wir haben begonnen, die ganze Organisation umzuwandeln. Wir vervielfachen die Teams, die mit Leistungen bei Kurzarbeit zu tun haben. Seit einer Woche haben viele eine Qualifikation zum Thema Kurzarbeit durchlaufen. Viele Mitarbeiter machen nicht mehr das, was sie bisher getan haben. Sie beraten Anrufer zu Kurzarbeit oder gewähren Leistungen. Wir sind für die Menschen da.
Wie viele Betriebe haben Kurzarbeit angemeldet?
Es werden noch nie dagewesene Zahlen. Im ganzen vorigen Jahr haben rund 900 Betriebe in Sachsen Kurzarbeit angemeldet, diese Menge hatten wir vorige Woche täglich. Das ist keine schlechte Nachricht. Anträge auf Kurzarbeit sind mir dreimal lieber als Kündigungen. Wir verfolgen das Ziel, soziale Sicherung zu organisieren und den Betrieben ihre Arbeitskräfte zu erhalten. Da wirkt Kurzarbeit wie eine Brandmauer.
Welche Branchen melden viel Kurzarbeit, welche eher nicht?
Die Katastrophe Corona trifft die Branchen unterschiedlich stark. Wer seine Gaststätte schließen oder die Autofabrik herunterfahren muss, meldet Kurzarbeit an. Wachdienste und Lebensmittelhändler dagegen wohl eher nicht.
Erstmals dürfen auch Leiharbeitsfirmen Kurzarbeitergeld beantragen. Geschieht das?
Mir ist noch nichts bekannt, aber ich finde die Neuregelung richtig. Es hilft, Kurzarbeit als Brandmauer gegen Entlassungen auf mehr Branchen auszudehnen.
Wie schnell kann das Kurzarbeitergeld kommen?
Unser Ziel bleibt, das Kurzarbeitergeld monatlich nachträglich auszuzahlen. Also jeweils innerhalb von vier Wochen nach dem Antrag für den vorangegangenen Monat. Und wenn von unseren 6.000 Mitarbeitern die Hälfte nichts anderes mehr macht.
Sie haben die Arbeitszeiten in den Agenturen verlängert?
Wir haben ein Zweischichtsystem zwischen 6 und 22 Uhr eingeführt – Wochenendarbeit ist künftig auch nicht auszuschließen. Das kenne ich noch aus den 90er-Jahren. Ich bin stolz auf die Mannschaften, alle ziehen mit. Die Bereitschaft, den Menschen zu dienen, ist stark ausgeprägt.
Reichen die Telefonleitungen aus?
Wir mussten zusätzliche Telefonnummern freischalten lassen, denn es gab bis zu 8.000 Gespräche bundesweit gleichzeitig. Auf unserer Internetseite finden Sie nun Extra-Rufnummern: www.arbeitsagentur.de/sachsen. Ich habe selbst einen Test gemacht und angerufen. Nach 30 Sekunden hatte ich einen Kollegen an der Strippe, und der steckte wirklich gut im Thema. Das hat meinen Optimismus bestärkt –und die gute Zusammenarbeit mit anderen Stellen.
Wie meinen Sie das?
Wir bieten gemeinsam mit den Kammern und Verbänden Webinare an und es gibt Lernvideos auf Youtube. Dort können sich Unternehmer zum Beispiel über Kurzarbeit vorinformieren, sodass unsere Mitarbeiter weniger allgemeine Fragen beantworten müssen. Dann ist Zeit für 30 statt für drei Telefonate. Mit der Handwerkskammer Dresden haben wir schon mehrere Online-Seminare gedreht. Die Netzwerke in Sachsen funktionieren. Große Sachen muss man zusammen machen.
Wird die Arbeitslosigkeit trotzdem stark steigen?
Wir haben noch keine Anzeigen nach dem Kündigungsschutzgesetz, also keine großen Kündigungen. Die Kurzarbeit erfüllt ihren Zweck, Beschäftigte zu halten. Das ist für mich eine Super-Nachricht. Trotzdem rechne ich mit Zuwachs in der Arbeitslosigkeit.
Wo vor allem?
Selbst wenn jetzt wenige Menschen ihren Job verlieren, wird die Arbeitslosigkeit steigen. Denn es gibt jetzt weniger Abgänge aus der Arbeitslosigkeit. Die Wahrscheinlichkeit, jetzt Arbeit zu bekommen, ist in den nächsten Wochen gering – außer in systemrelevanten Berufen. Außerdem mache ich mir Sorgen um Menschen, die gerade in geförderter Weiterbildung sind. Wenn die Kurse abgebrochen werden müssen, werden die Teilnehmer arbeitslos.
Gibt es keine Online-Weiterbildungen?
Zu wenige. Wir sprechen viel über Industrie 4.0, aber bei den Bildungsträgern scheint online noch in den Anfängen zu stecken. Ich wäre gerne bereit, Umschulungen weiter zu finanzieren, wenn sie online weiterlaufen würden.
Landwirte sorgen sich, keine Erntehelfer zu finden. Vermittelt die Arbeitsagentur welche?
Die Arbeitsvermittlung geht weiter. Dafür sollen uns die Unternehmen in Anspruch nehmen. Ich denke jetzt vor allem an systemrelevante Branchen, dazu gehört auch die Versorgung mit Lebensmitteln. Wenn Polen die Grenze für Pendler schließt, wird das für Leipzig wohl nicht so problematisch wie für Görlitz und Zittau. Ich bin Optimist: Wenn man Leute von Herz zu Herz anspricht, sind sie bereit zu helfen. Wir tun es auch und nehmen ab sofort die Stellenangebote aus der Landwirtschaft zentral in der Regionaldirektion Sachsen auf – über unsere Hotline.
Sind bisherige Probleme wie der Fachkräftemangel jetzt durch die Coronakrise erledigt?
Die Probleme, die wir vor vier Wochen hatten, sind nicht weg. Sie werden wiederkommen. Demografie, Digitalisierung, Strukturwandel und die Sorge um Arbeitskräfte bleiben. Ich habe keine Ärzte im Schrank. Altenpfleger, die vor vier Wochen gefehlt haben, finde ich jetzt auch nicht.
Was wird nach der Coronakrise anders sein als vorher?
Ich bin Optimist und denke: Wir haben dann vielleicht gelernt, wieder mehr aufeinander zu achten. Ein Land, in dem sich mancher schwertut mit Zuwanderung, merkt vielleicht, was es bedeutet, wenn Menschen aus anderen Ländern nicht mehr da sind.
Vielleicht lernen wir wieder, miteinander Dinge zu lösen, auch wenn wir nicht immer einer Meinung sind. In einer Demokratie zeigt sich, Menschen packen an, wenn man sie anspricht.
Das Gespräch führte Georg Moeritz.