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Notenständer fällt scheppernd von der Empore

Theodor Hultsch erinnert sich an eine besondere Christnacht. Vor lauter Eile wäre beinahe ein Unglück geschehen – eine Weihnachtsgeschichte.

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Ich bin langjähriger Bläser im Posaunenchor der Neukircher Kirchgemeinde. Seit etwa 60Jahren gehöre ich dazu und habe dabei mancherlei Dinge zum Schmunzeln miterlebt. Unvergessen ist mir eine Christnacht aus dem Jahre 1962.

Wir hatten seit kurzer Zeit in Neukirch einen neuen, jungen Kantor. Der wollte seinen ersten Weihnachtsgottesdienst in besonderer Weise gestalten. Er schlug vor, das „Quempas-Singen“ in Neukirch zu neuem Leben zu erwecken. Der Quempas ist ein alter Hirtenlobgesang, den sich diese in früheren Zeiten über große Entfernungen von Alm zu Alm am Weihnachtsabend zugesungen haben. In alten Christmette-Ordnungen hat man das sinnbildlich in die Weihnachtsgottesdienste übernommen. Da die Kirche in Neukirch sehr hoch und groß ist, war sie für ein „Quempas - Singen“ bestens geeignet.

Von den oberen Emporen konnten aus den vier Ecken jeweils einige Kurrendesänger den Lobgesang singen. Da aber die Kinderstimmen doch etwas schwach waren, sollten sie an jeder Ecke durch drei Trompeten unterstützt werden. Ich war mit noch zwei Bläsern an der Süd - Ost Ecke über dem Altar eingeteilt. Es gab allerdings bei der praktischen Ausführung unseres Vorhabens ein Problem. Wir fanden nicht genügend Platz zum Aufstellen unseres Notenständers. Doch findige Köpfe wussten eine Lösung: In die hölzerne Brüstung schraubten wir von außen einen eisernen Ring und da hinein konnten wir bequem das Oberteil unseres etwas gewichtigen Metallständers schieben. Die Notenständer standen sozusagen außerhalb der Empore und wir hatten den nötigen Platz zum Blasen. Es folgten mehrere Proben, ehe unser Kantor so richtig zufrieden mit uns war. Bald gefielen wir uns selbst so wunderbar, dass wir meinten, die „Himmlischen Heerscharen“ schwebten persönlich von der Höhe herab ins Kirchenschiff.

Die Christmette am 24. Dezember 1962 war wie jedes Jahr sehr gut besucht. Das Kirchenschiff und die Emporen waren proppevoll. Um in die palavernde Menge etwas Ruhe hineinzubekommen, spielte der Posaunenchor einige bekannte Weihnachtslieder. Herr Pfarrer Frank sprach die Begrüßung und ein Anfangsgebet. Dann sang die Gemeinde den alten Choral: „Es ist ein Ros entsprungen“. Hier begleiteten wir Posaunenbläser noch den Gesang, dann aber mussten wir schnellstmöglich auf die Emporen in die „Quempas“ Ecken. Das war etwas beschwerlich, da wir ja unsere Noten, die Ständer und unsere Instrumente mitnehmen mussten.

Pfarrer wartet ungeduldig

Wir hatten nicht bedacht, dass die Kirche so voll war, dass wir Mühe hatten, schnell genug durchzukommen. Es kam Hektik auf und der Herr Pfarrer wartete schon ungeduldig. Der Gottesdienst musste ja zügig weitergehen. Aber wir waren ja gleich so weit, nur noch den Notenständer in die Lasche schieben und dann konnte der himmlische Lobgesang beginnen.

Doch, oh Tücke des Objekts! Es kam nicht so weit. Hervorgerufen durch die herrschende Hektik fand mein Bläserbruder die vorbereitete Lasche für den Ständer nicht und dieser fiel pfeifend in die Tiefe – haarscharf am Kopf des Pfarrers vorbei. Er streifte noch seinen Talar und landete scheppernd auf den Steinplatten im Altarraum. Lähmende, unheimliche Stille breitete sich im Gotteshaus aus.

Herr Pfarrer Frank stand kerzengerade und still wie eine Salzsäule, Sekunden vergingen, dann drehte er sich ganz langsam um und schaute nach oben zu uns Bläsern. Diesen Blick werde ich mein Leben lang nicht vergessen. Der Kantor beendete dann die entsetzliche Situation, indem er mit vollem Orgelwerk einsetzte. Der „Lobgesang“ wurde gesungen und der Gottesdienst fand ein würdiges Ende.

Am Schluss des Gottesdienstes sprach der Pfarrer der Gemeinde noch gesegnete Weihnachtswünsche aus. „Und den Posaunenbläsern möchte ich bei dieser Gelegenheit zu bedenken geben: Wenn sie weiterhin mörderische Absichten gegen mich vorhaben, dann überlege ich mir, ob wir noch weiter miteinander praktizieren können“ ! So sagte der Pfarrer.