Null-Toleranz-Kurs heftig umstritten

Die Ankündigung von Justizminister Sebastian Gemkow, Bagatellkriminalität strenger zu ahnden, hat eine kontroverse Debatte über den kriminalpolitischen Kurs der Landesregierung ausgelöst. Kritiker werfen dem CDU-Politiker Populismus und Verschwendung von Ressourcen vor. Es sei offensichtlich, dass die Strafjustiz in einigen Bereichen nicht in der Lage sei, Verfahren in der gebotenen Zeit zu beenden, kritisierte Rechtsanwalt Andreas Boine, Vorsitzender des Verbandes. Dass nun die knappen Ressourcen verstärkt für Bagatellkriminalität verschwendet würden, sei hanebüchen.
Gemkow hatte Mitte Februar eine Rundverfügung der Generalstaatsanwaltschaft vorgestellt, mit der die Staatsanwälte angewiesen werden, Delikte wie Ladendiebstähle, Schwarzfahren, kleinere Körperverletzungen oder Besitz geringer Mengen Drogen konsequent zu verfolgen. Schon bei Schäden ab einer Höhe von zehn Euro sollen Staatsanwälte Verfahren nicht mehr wegen Geringfügigkeit einstellen. Der Staat müsse zeigen, dass er solche Verhaltensweisen vor allem im öffentlichen Raum nicht dulde, begründete Gemkow das Vorgehen. Die justizinterne Vorschrift ist erlassen worden, weil die Staatsanwaltschaften immer häufiger Ermittlungen wegen Geringfügigkeit oder mangels öffentlichen Interesses eingestellt haben. 2017 waren es 45.000 Verfahren.
Bisher regelte eine „Gemeinsame Richtlinie der sächsischen Staatsanwaltschaften zur Strafzumessung und sonstigen Rechtsfolgen“ den Umgang mit Bagatellkriminalität. Sie ließ den Ermittlern größeren Spielraum bei der Entscheidung. Mit der neuen Linie fährt der Justizminister einen deutlich strikteren Kurs. Der sächsische Richterverein sieht anders als die Strafverteidigervereinigung darin ein positives Signal.
Die Debatte wird in dieser Woche auch den Landtag beschäftigen. Am Mittwoch befasst sich das Parlament in einer von der Linkspartei beantragten Aktuellen Stunde mit dem Umgang mit Bagatellkriminalität. Der Titel der Debatte gibt die Richtung vor: „Law and order – Gehabe des Generalstaatsanwaltes ist Gift für den Rechtsstaat – Unabhängigkeit der Rechtsprechung vor exekutiver Einflussnahme schützen!“ Einen Tag später will Minister Gemkow in einer Fachregierungserklärung die Rundverfügung von Generalstaatsanwalt Hans Strobl verteidigen.
Die Strafverteidiger-Vereinigung bezeichnet die Rundverfügung als Misstrauensvotum gegenüber Richtern und Staatsanwälten. Der Minister erwecke den Eindruck, dass die Einstellungspraxis bisher nicht in verantwortungsbewusster Weise gehandhabt worden sei. Die neue Regelung sei bundesweit einmalig und stelle die Bürger in Sachsen schlechter, sagte Boine. Sie belaste vor allem Menschen, die erstmalig mit einem Strafverfahren konfrontiert werden. Wer öfter mit dem Gesetz in Konflikt gerate, profitiere ohnehin nicht von der Möglichkeit einer Verfahrenseinstellung. Boine: „Wer meint, dass das nicht schlimm sei, dass es ja nur ,Kriminelle' betreffe, kann sich nicht vorstellen, wie schnell man in ein Strafverfahren als Beschuldigter geraten kann“.
Kritik kam auch von der Neuen Richtervereinigung. Nicht Angst vor Strafe, sondern Angst vor Entdeckung durch die Polizei hielten Menschen davon ab, Straftaten zu begehen, sagte ihr Vorsitzender Ruben Franzen. Die vom Parlament beschlossene Aufstockung des Personals in der Justiz dürfe nicht allein dazu genutzt werden, um „Hühnerdiebe“ zu verfolgen.
Um den Mehraufwand in der Justiz abzufangen, hat Gemkow 30 neue Stellen bekommen – Richter, Staatsanwälte, Rechtspfleger und Büromitarbeiter. Er rechnet mit bis zu 9.000 zusätzlichen Verfahren, die nicht mehr wegen Geringfügigkeit eingestellt, sondern bearbeitet werden müssen. Ein gutes Instrument, um vor allem Ersttäter zu bestrafen, sind seiner Auffassung nach sogenannte Verwarnungen mit Strafvorbehalt. Das sind Geldstrafen, die zur Bewährung ausgesetzt werden. Der Verurteilte muss sie nur dann zahlen, wenn er innerhalb eines Jahres erneut straffällig wird. Auch Fahrverbote sollen auf Täter einwirken.