SZ +
Merken

Null-Toleranz-Kurs heftig umstritten

Sachsens Staatsanwälte müssen künftig auch Bagatellkriminalität verfolgen. Juristen halten die neue Linie der sächsischen Regierung für abwegig.

Von Karin Schlottmann
 3 Min.
Teilen
Folgen
Justizminister Sebastian Gemkow (CDU) will auch kleine Straftaten vor Gericht bringen.
Justizminister Sebastian Gemkow (CDU) will auch kleine Straftaten vor Gericht bringen. © Ronald Bonß

Die Ankündigung von Justizminister Sebastian Gemkow, Bagatellkriminalität strenger zu ahnden, hat eine kontroverse Debatte über den kriminalpolitischen Kurs der Landesregierung ausgelöst. Kritiker werfen dem CDU-Politiker Populismus und Verschwendung von Ressourcen vor. Es sei offensichtlich, dass die Strafjustiz in einigen Bereichen nicht in der Lage sei, Verfahren in der gebotenen Zeit zu beenden, kritisierte Rechtsanwalt Andreas Boine, Vorsitzender des Verbandes. Dass nun die knappen Ressourcen verstärkt für Bagatellkriminalität verschwendet würden, sei hanebüchen.

Gemkow hatte Mitte Februar eine Rundverfügung der Generalstaatsanwaltschaft vorgestellt, mit der die Staatsanwälte angewiesen werden, Delikte wie Ladendiebstähle, Schwarzfahren, kleinere Körperverletzungen oder Besitz geringer Mengen Drogen konsequent zu verfolgen. Schon bei Schäden ab einer Höhe von zehn Euro sollen Staatsanwälte Verfahren nicht mehr wegen Geringfügigkeit einstellen. Der Staat müsse zeigen, dass er solche Verhaltensweisen vor allem im öffentlichen Raum nicht dulde, begründete Gemkow das Vorgehen. Die justizinterne Vorschrift ist erlassen worden, weil die Staatsanwaltschaften immer häufiger Ermittlungen wegen Geringfügigkeit oder mangels öffentlichen Interesses eingestellt haben. 2017 waren es 45.000 Verfahren.

Bisher regelte eine „Gemeinsame Richtlinie der sächsischen Staatsanwaltschaften zur Strafzumessung und sonstigen Rechtsfolgen“ den Umgang mit Bagatellkriminalität. Sie ließ den Ermittlern größeren Spielraum bei der Entscheidung. Mit der neuen Linie fährt der Justizminister einen deutlich strikteren Kurs. Der sächsische Richterverein sieht anders als die Strafverteidigervereinigung darin ein positives Signal.

Die Debatte wird in dieser Woche auch den Landtag beschäftigen. Am Mittwoch befasst sich das Parlament in einer von der Linkspartei beantragten Aktuellen Stunde mit dem Umgang mit Bagatellkriminalität. Der Titel der Debatte gibt die Richtung vor: „Law and order – Gehabe des Generalstaatsanwaltes ist Gift für den Rechtsstaat – Unabhängigkeit der Rechtsprechung vor exekutiver Einflussnahme schützen!“ Einen Tag später will Minister Gemkow in einer Fachregierungserklärung die Rundverfügung von Generalstaatsanwalt Hans Strobl verteidigen.

Die Strafverteidiger-Vereinigung bezeichnet die Rundverfügung als Misstrauensvotum gegenüber Richtern und Staatsanwälten. Der Minister erwecke den Eindruck, dass die Einstellungspraxis bisher nicht in verantwortungsbewusster Weise gehandhabt worden sei. Die neue Regelung sei bundesweit einmalig und stelle die Bürger in Sachsen schlechter, sagte Boine. Sie belaste vor allem Menschen, die erstmalig mit einem Strafverfahren konfrontiert werden. Wer öfter mit dem Gesetz in Konflikt gerate, profitiere ohnehin nicht von der Möglichkeit einer Verfahrenseinstellung. Boine: „Wer meint, dass das nicht schlimm sei, dass es ja nur ,Kriminelle' betreffe, kann sich nicht vorstellen, wie schnell man in ein Strafverfahren als Beschuldigter geraten kann“.

Kritik kam auch von der Neuen Richtervereinigung. Nicht Angst vor Strafe, sondern Angst vor Entdeckung durch die Polizei hielten Menschen davon ab, Straftaten zu begehen, sagte ihr Vorsitzender Ruben Franzen. Die vom Parlament beschlossene Aufstockung des Personals in der Justiz dürfe nicht allein dazu genutzt werden, um „Hühnerdiebe“ zu verfolgen.

Um den Mehraufwand in der Justiz abzufangen, hat Gemkow 30 neue Stellen bekommen – Richter, Staatsanwälte, Rechtspfleger und Büromitarbeiter. Er rechnet mit bis zu 9.000 zusätzlichen Verfahren, die nicht mehr wegen Geringfügigkeit eingestellt, sondern bearbeitet werden müssen. Ein gutes Instrument, um vor allem Ersttäter zu bestrafen, sind seiner Auffassung nach sogenannte Verwarnungen mit Strafvorbehalt. Das sind Geldstrafen, die zur Bewährung ausgesetzt werden. Der Verurteilte muss sie nur dann zahlen, wenn er innerhalb eines Jahres erneut straffällig wird. Auch Fahrverbote sollen auf Täter einwirken.


Wenn das öffentliche Interesse fehlt

Staatsanwaltschaften und Gerichte haben die Möglichkeit, Ermittlungsverfahren wegen eines Vergehens einzustellen. Die Verfahren werden in diesen Fällen ohne Anklage oder Urteil beendet. Juristisch gilt der Betroffene dann weiter als unschuldig. Das Führungszeugnis bleibt sauber. 

Bei Paragraf 153a Strafprozessordnung ist die Einstellung an eine Auflage in Form einer Geldzahlung oder einer Arbeitsleistung gekoppelt. Ermittlungen wegen eines Verbrechens, also eine Strafandrohung von über einem Jahr Freiheitsentzug, sieht das Gesetz nicht vor. Die Einstellung nach Paragraf 153 StPO erfolgt ohne Auflagen. Voraussetzung ist, dass die Schuld der Person, gegen die sich das Verfahren richtet, als gering anzusehen ist und es kein öffentliches Interesse an der Strafverfolgung gibt. 

In der Praxis werden mit dem Instrument der Verfahrenseinstellung auch Sachverhalte abgeschlossen, bei denen zusätzlich der Sachverhalt oder die Rechtslage in einem Graubereich liegen, der keiner Aufklärung durch ein Urteil bedarf. Diese Einschätzung obliegt der Staatsanwaltschaft und dem Gericht. Der Beschuldigte beziehungsweise Angeklagte und sein Verteidiger können eine Einstellung anregen oder ihr zustimmen. (SZ)

1 / 3