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„Nur Wissen hilft“

Als Unternehmer glaubt Baljit Singh Bhullar an die Wirtschaftskraft der Migranten. Als Sikh an Gott und alle Menschen.

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© Sven Ellger

Von Nadja Laske

Für Grün hat sich Baljit Singh Bhullar an diesem Morgen entschieden. Ein tiefes Moosgrün zum weißen Gewand. Der Wochentag spielt dafür keine Rolle. Auch der Gang in den Tempel nicht. „Wir wählen die Farbe unseres Turbans danach aus, was uns gefällt und am besten zum Rest der Kleidung passt“, sagt der Sikh.

Baljit Singh Bhullar ist einer von rund 50 Sikhs in Dresden. Mehr ein Lebensweg als eine Religion sei der Glaube an den einen Gott, der für alle Menschen gleichermaßen da sei, sagt er. In dessen Namen haben zehn Gurus den Weg von der Dunkelheit des Unwissens ins Licht der Weisheit beschrieben. Ihre Lehren für ein erfülltes, friedliches Leben stehen in einem Buch zusammengefasst. Das ist der elfte Guruh, den die Gläubigen verehren und wie einen lebendigen Menschen behandeln. Nach ihm gibt es keinen weiteren Guruh, die heilige Schrift ist die vollendete und ewig geltende Lehre.

All das zu erklären, ist nicht leicht. Doch Baljit Singh Bhullar tut es mit Geduld, und er tut es gern. Jedem Gast, der den Weg in den Sikh-Tempel in Dresden Kaditz findet. Zur Adresse gehören mehrere Gebäude, Baljits Wohnhaus, eine Werkstatt und das Gotteshaus, eingerichtet im Flachbau einer ehemaligen Farbenfabrik. Der 50-Jährige hat das Areal gekauft und vor drei Jahren begonnen, ausschließlich mit Spendengeldern der Sikhs den Tempel einzurichten, einen Ort, an dem sie zusammenkommen und ihre Gottesdienste abhalten können.

Baljit Singh Bhullar ist Unternehmer. Textilgroßhändler und Vermieter von Gewerberäumen. Vor 30 Jahren kam der gebürtige Inder nach Deutschland. „Aus einem ähnlichen Grund wie heute die Syrer“, sagt er. Religionskriege haben Indien immer wieder schwer beschäftigt. Anfang der 80e-Jahre ging es zwischen Hindus und Sikhs blutig her. Separatistische Sikhs und ihre hinduistischen Gegner provozierten und bekämpften sich. In der Zeit verließ Baljit sein Land. „Ich wollte zurück, sobald in meiner Heimat wieder Ruhe herrscht“, sagt er. Deutsch sprach er nicht, und eine reiche Familie im Rücken hatte er auch nicht. „Aber Deutschland hat mir geholfen, dafür bin ich immer dankbar.“ Zunächst lebte Baljit Singh Bhullar in Bremen und lernte seine erste Frau kennen, eine Deutsche, die bald nach der Geburt der gemeinsamen Tochter an Blutkrebs starb. Allein mit seinem Kind beschloss er, in Deutschland zu bleiben: „Für die Zukunft meiner Tochter.“ Heute studiert sie Jura.

Die Wende führte den Unternehmer in den Osten und nach Dresden. Mit seiner zweiten Frau, einer Inderin, hat Baljit zwei Söhne, 13 und 17 Jahre alt. Sie lernen auf dem Gymnasium, spielen bei Borea und haben den deutschen Pass, so wie ihr Vater inzwischen auch. „Meine Jungs gehen nur aller drei Monate in den Tempel. Aber wenn wir auf dem Gelände Fußball spielen, sind sie sofort dabei“, erzählt er, „Ich zwinge sie nicht zum Gottesdienst. Entweder sie kommen freiwillig, oder sie lassen es.“

Zwang mag der Sikh nicht. „Wir sind nie gegen etwas, sondern immer für eine Sache“, erklärt er. Auch gegen Pegida sei er nicht. Vielmehr dafür, Glauben, Kultur und Geschichte zu erklären. „Nur Wissen hilft. Dann verschwinden die Ängste vor dem Fremden.“ Mehr Menschen in Deutschland bedeute auch mehr Wirtschaftskraft, davon ist der Unternehmer überzeugt. Spätestens die zweite Generation der heutigen Einwanderer werde den Wohlstand mehren und besonders Kleinstädten im Osten guttun. Religiöse Unterschiede sieht Baljit Singh Bhullar nicht als Problem. Fakt ist: die deutsche Verfassung gilt. „Das muss schon die Elterngeneration vermitteln.“

Für Wissen und Verständnis wird Baljit Singh Bhullar am Sonnabend zusammen mit rund 100 anderen Sikhs aus ganz Sachsen beim Inter-Religiösen Kulturfestival auf dem Platz vor der Kreuzkirche musizieren und das tun, was er so gut kann: Erzählen – von den zehn Gurus, die den Sikhismus prägten und dem weisen Buch, das als elfter Guru fortdauert. Von den fünf Dingen, auf die traditionell kein Sikh verzichtet, und auch von der Farbenpracht der Turbane, die Gläubige als Bekenntnis tragen, ohne ungläubig zu erscheinen, wenn sie es nicht tun. Aber auch von der Art, ihren Glauben zu leben: als Dienst am Menschen und in Gottes Sinn. Willkommen zu sein – gläubig, andersgläubig oder nicht gläubig – und mit Speisen versorgt zu werden, gilt als größte Selbstverständlichkeit. Ehrenamtlich kann man die Arbeiten nennen, die Sikhs als Gottesdienst bezeichnen. Sie kochen und reichen Essen, jedem, der den Tempel betritt, barfuß und den Kopf bedeckt, das ist ihre strenge Regel.

An jenem Tag, als sich Baljit Singh Bhullar für das Moosgrün entschied und das acht Meter lange Tuch in nur fünf Minuten sauber um seinen Kopf zum Turban schlang, kam nicht nur er zum Tempel. In der Küche dort klapperten zwei junge Männer mit Pfannen, buken Fladenbrot und schnitten Gemüse. Das tun die Gemeindemitglieder abwechselnd. Denn Sikhs halten stets Essen parat – für Gläubige und Gäste, bedürftig oder nicht. Für Menschen.

Inter-Religiöses Festival: Sonnabend, Treff mit sieben Religionen, 16 bis 21 Uhr, vor der Kreuzkirche; Sonntag, 15.30 Uhr, Konzert in der Kreuzkirche (Freikarten an der Vorverkaufskasse der Kreuzkirche, Mo. bis Fr., 10 bis 18 Uhr)
Mehr unter www.festival.bird-dresden.de