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Ökonomen streiten über Insolvenzrecht für Staaten

Selbst die Wirtschaftsweisen sind sich nicht einig, welche Regeln gegen Krisen in der Eurozone helfen.

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© AP/Markus Schreiber

Von Nora Miethke

Dresden. Der Grexit ist gerade noch einmal abgewendet worden – der Austritt Griechenlands aus der Eurozone. Doch die Schwächen der Währungsunion wurden offenbar. Die Debatte unter Deutschlands Top-Ökonomen über die künftige Architektur des Euroraums ist voll entbrannt.

Mit einem Sondergutachten „Konsequenzen aus der Griechenland-Krise für einen stabileren Euro-Raum“ hat sich nun auch der Sachverständigenrat für die Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung zu Wort gemeldet. Die Mehrheit der fünf „Wirtschaftsweisen“ fordert einen Insolvenzmechanismus für Staaten und die Möglichkeit eines Euroaustritts als letzten Ausweg. Von „vorschnellen Integrationsschritten“ raten die Regierungsberater ab. Dazu zählen sie die Ernennung eines europäischen Finanzministers mit eigenem Budget oder eine Wirtschaftsregierung, wie sie sich Frankreich wünscht, oder eine Arbeitslosenversicherung für die Eurozone, die das Zentrum für europäische Wirtschaftsforschung vorschlägt.

Am Konferenztisch der Wirtschaftsweisen bestand allerdings keine Einigkeit. Peter Bofinger, Mitglied des Sachverständigenrates und Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität in Würzburg, schloss sich dem Gutachten nicht an und legte ein Minderheitenvotum vor.

Ein Streitpunkt ist das Für und Wider eines Insolvenzverfahrens für ganze Staaten. Die Wirtschaftsweisen schlagen vor: Damit die Nicht-Beistandsklausel glaubwürdig bleibt, sollte der Rettungsfonds ESM einen Insolvenzmechanismus schaffen. Wenn Staatsschulden nicht tragfähig sind, muss es für künftige Anpassungsprogramme eine Laufzeitverlängerung geben. Bei Überschuldung oder grobem Verstoß gegen Fiskalregeln sollte ein Hilfsprogramm des ESM nur nach einem Schuldenschnitt für private Gläubiger genehmigt werden. Ähnlich wie bei Bankenpleiten müsse auch eine Verlustbeteiligung der Gläubiger bei Staatspleiten möglich sein. Dies setze nach Ansicht der Wirtschaftsweisen für Investoren den Anreiz, die Ausfallrisiken von Staatsanleihen genauer abzuschätzen.

Bofinger warnt dagegen, dass die Idee eines Insolvenzverfahrens „eher destabilisieren als stabilisieren würde“. Investoren müssten davon ausgehen, „dass es grundsätzlich zu einer Umstrukturierung von Staatsanleihen kommt, sobald ein Land auf den Kapitalmärkten unter Druck gerät“, schreibt er in seinem Minderheitsvotum. So könnte es schon bei kleineren Störungen zu einem Bond-run – also massenhaften Anleiheverkäufen – kommen, der nicht mehr zu stoppen sei. Wenn die Europäische Zentralbank (EZB) nicht dauerhaft intervenieren solle, müssten weitere Integrationsschritte in Richtung fiskalischer Union gegangen werden, fordert der Würzburger Professor. Konkret schlägt Bofinger vor, dass für einen Teil der Staatsanleihen eine gemeinsame Haftung übernommen wird. Der Sachverständigenrat selbst habe sich in seinem Jahresgutachten 2011/2012 für einen Schuldentilgungspakt ausgesprochen, schreibt Bofinger seinen Kollegen zur Erinnerung. Eine gemeinsame Haftung mache allerdings die teilweise Übertragung nationaler Kompetenz in der Fiskal- und Haushaltspolitik auf die europäische Ebene erforderlich. Letztendlich gehe es um die Frage, „ob Europa in Zukunft von anonymen Finanzmärkten diszipliniert werden soll oder durch demokratisch legitimierte politische Prozesse gestaltet wird“.

Scharfe Kritik kommt auch vom Präsidenten des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, Marcel Fratzscher, in Berlin. „Der Sachverständigenrat hat mit diesem Gutachten eine interessante Kehrtwende seiner Positionen vollzogen“, schreibt Fratzscher in einem Gastbeitrag für das Handelsblatt. Noch vor wenigen Wochen hätten sich die Wirtschaftsweisen für einen europäischen Finanzminister und eine Vertiefung der Integration ausgesprochen. Die Forderung nach einem Mechanismus für einen Austritt aus dem Euro ist laut Fratzscher „höchst gefährlich“. Denn das könnte erhebliche spekulative Attacken an den Finanzmärkten provozieren. Davor hatte auch Bofinger erst kürzlich in einem SZ-Interview gewarnt.