Lieber Wolodymyr Selenskyj!
Kennen Sie Horst Schlämmer? Das ist ein beliebter deutscher Komiker, der mal Kanzler werden wollte, gespielt von Hape Kerkeling. Es gab sogar einen Kinofilm dazu: „Isch kandidiere!“ Die von ihm gegründete Horst-Schlämmer-Partei war liberal, konservativ und links – genau wie ich. Eine seiner zentralen Forderungen im Wahlkampf war es, seinen Heimatort Grevenbroich zur Hauptstadt der Bundesrepublik zu machen. Vor zehn Jahren war das, lange her. Letztlich war Schlämmer gegen Angela Merkel so chancenlos wie der SPD-Kandidat, der vor allem als Stinkefinger-Steinbrück in Erinnerung geblieben ist. Verrückt, das alles. Damals konnte man noch drüber lachen. Aber jetzt wird’s langsam ernst.
In der Ukraine sind Sie, von Beruf ebenfalls Komiker, jetzt tatsächlich mit großem Abstand zum neuen Staatspräsidenten gewählt worden. Das ist einerseits erfreulich, weil es mal wieder beweist, dass in einer Demokratie wirklich alles möglich ist und letztlich die Mehrheit des Volkes entscheidet, wo es langgeht, und nicht irgendwelche Despoten. Andererseits gibt es einem schon zu denken, wenn die Wähler das Schicksal ihres Landes lieber einem Schauspieler und Witzbold anvertrauen als einem erfahrenen Politiker. Die Ukraine zeigt, wohin es führt, wenn das Ansehen von Politikern ins Bodenlose fällt. In Deutschland sind wir davon noch weit entfernt. Aber wer weiß, ob Horst Schlämmer eines Tages nicht doch noch einmal antritt? Weißte Bescheid, Schätzelein!
Warten wir mal ab. Vielleicht machen Sie Ihre Sache ja doch ganz gut. Schauspieler in der Politik gab es jedenfalls schon öfter. Ich erinnere nur an US-Präsident Ronald Reagan, der vorher in Filmen mitspielte wie „Alter schützt vor Liebe nicht“ und „Tod eines Killers“. Oder denken Sie an Arnold Schwarzenegger, den „Terminator“, der Gouverneur in Kalifornien wurde. Bei uns in Deutschland ist mal der sächsische „Tatort“-Schauspieler Peter Sodann als Bundespräsidentenkandidat für die Linkspartei angetreten. Wir sollten jetzt also nicht den Fehler machen und über die Ukrainer spotten. Im Grunde ist die Wahl doch nur konsequent, denn ein bisschen Schauspieler muss schließlich jeder Politiker sein. Warum es also nicht mal mit einem Original versuchen? Da weiß man wenigstens, woran man ist.
Die nächste Bundestagswahl steht erst 2021 an. Derzeit sieht alles nach einem Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen Annegret Kramp-Karrenbauer von der CDU und Robert Habeck von den Grünen aus. Bei der SPD kommt es wohl auf die Fünfprozenthürde an. Bis dahin kann aber noch viel passieren. Andrea Nahles könnte zum Beispiel noch schnell das Fach wechseln und Komikerin werden, das Zeug dazu hätte sie („Bätschi“, „in die Fresse“). Oder Horst Schlämmer geht zur FDP und stürzt Christian Lindner. Und was, wenn die Komikertruppe von der AfD doch noch Ernst macht? Es bleibt spannend. Denn Sie wissen ja: Wer zuletzt lacht …
Ihr Marcus Thielking
Der Offene Brief ist eine satirische Rubrik im Wochenend-Magazin der Sächsischen Zeitung.