Liebe Yoko Ono!
Eigentlich rede ich nicht mehr mit Ihnen, denn Sie haben die Beatles kaputtgemacht. Das ist jedenfalls bis heute die gängige Meinung unter vielen Beatles-Fans: Nachdem John Lennon und Sie ein Paar wurden, verhielt sich Lennon immer seltsamer, und irgendwann war es vorbei mit „Yeah, Yeah, Yeah“. Aber Schwamm drüber. Wobei – wäre das nicht zum Beispiel schon Kunst in Ihrem Sinne? Einfach mal einen Schwamm ins Museum stellen. Titel: „Transcience 1969/2019“. Das ist das englische Wort für Vergänglichkeit, und vor 50 Jahren trennte sich John von Paul, George und Ringo. In Ihrer Ausstellung im Leipziger Museum der bildenden Künste haben Sie jetzt einen grünen Apfel aufs Podest gestellt. Das war das Logo der Beatles. In den nächsten Wochen wird er in der Ausstellung verschrumpeln. Was will uns die Künstlerin damit sagen?
Ich muss wohl aufpassen, dass ich jetzt nicht zu sehr nach Stammtisch klinge. Sie kennen bestimmt auch diesen belehrenden Spruch, der dann immer kommt: „Kunst kommt von Können! Käme es von Wollen, hieße es Wunst.“ Hö, hö. Meistens sagen das Leute, die noch nie in ihrem Leben im Museum waren. Woher kommt eigentlich das Wort Museum? „Muss man sehen?“ Ich wäre jedenfalls vorsichtig beim Thema Wortherkunft. „Kultur“ zum Beispiel kommt vom lateinischen cultura, Ackerbau. Da könnten Sie also auch einen Misthaufen ins Museum schaffen, und es würde passen. Hat wahrscheinlich auch schon mal irgendein Künstler gemacht. Würde mich jedenfalls nicht wundern.

„Ist das Kunst oder kann das weg?“ Auch so ein beliebter Stammtisch-Spruch. Unvergessen bis heute der berühmte Fettfleck des Künstlers Joseph Beuys, den dann der Hausmeister einfach weggemacht hat. Ich hoffe, dass das in Leipzig mit Ihrem Apfel nicht passiert. Oder vielleicht grabscht ihn irgendein Kind und isst ihn auf? Wobei das für Sie als Aktionskünstlerin dann wohl auch einfach Teil der Performance wäre. Fluxus heißt diese Kunstrichtung: Die Idee ist schon das Werk. Vor vielen Jahren habe ich mal zwei Fluxus-Künstler in einer Einkaufspassage interviewt, und während des Gesprächs erläuterten die beiden mir, dass eben dieses Interview, so wie es gerade stattfinde, ein Kunstwerk sei. Warum? Weil sie es dazu erklärt hätten. Seit diesem Tag betrachte ich mich nicht nur als Journalist, sondern auch als ernst zu nehmenden Künstler. Allein dieser Brief hier ist ein Kunstwerk. Aber eben nicht im Sinne von Können, sondern von Wollen. Jeder, der diesen offenen Brief liest, wird automatisch zum Teil einer von mir erdachten künstlerischen Intervention, ob er will oder nicht.
Je länger ich darüber nachdenke, desto klarer wird mir, dass auch die Spaltung der Beatles wahrscheinlich ein Kunstwerk von Ihnen war. Und mal ehrlich, wären die Beatles heute so legendär, wenn sie wie die Stones immer noch einen auf Altherrenrock machen würden? In diesem Sinne also: Danke für alles! Und Schwamm drüber.
Ihr Marcus Thielking
Der "Offene Brief" ist eine satirische Rubrik im Wochenend-Magazin der Sächsischen Zeitung.