Online-Prozesse bleiben umstritten

Sachsens Gerichte kehren allmählich zum Alltag zurück. Immer mehr Mitarbeiter wechseln wieder von der Heimarbeit in die Dienststelle. Der Besucherverkehr bleibe allerdings eingeschränkt, sagte Sachsens Justizministerin Katja Meier (Grüne). Meier: „Ein Notbetrieb war glücklicherweise zu keiner Zeit erforderlich“. Allerdings seien viele Abläufe auf das vertretbare Maß heruntergefahren worden. Der Rechtsschutz sei trotz allem für die Bürger stets gewährleistet gewesen.
Neben Heimarbeit für viele Bedienstete liegt die Lösung offenbar in der Kunst der Improvisation. Wenn Abstände nicht eingehalten werden können, installieren die Gerichte Acrylglasscheiben zwischen den Sitzplätzen. Die Arbeitsbetriebe der Justizvollzugsanstalten leisteten wichtige Unterstützung, sagte Meier.
Dennoch sind zahlreiche Verhandlungen verschoben worden. Am Landgericht Dresden konnten wegen der Pandemie bislang 475 Termine in Zivilsachen nicht planmäßig stattfinden. In Strafsachen wurden schätzungsweise etwa 70 Hauptverhandlungstermine aufgehoben, teilte Gerichtssprecher Thomas Ziegler mit. Am Landgericht Leipzig wurden bisher 98 Strafverfahren und 401 Zivilverfahren abgesetzt oder verlegt. Dort forderte ein Richter sogar ein Gutachten über Infektionsschutz im Gerichtssaal an, dass die Direktorin des Instituts für Hygiene, Krankenhaushygiene und Umweltmedizin des Universitätsklinikums Leipzig schrieb.
Prozesswelle befürchtet
Anders als in Unternehmen, wo Konferenzen in Corona-Zeiten online abgehalten werden, sind virtuelle Gerichtsverhandlungen so gut wie ausgeschlossen. Die gesetzlichen Vorschriften basieren aus guten Gründen auf dem Prinzip mündlicher und öffentlicher Verhandlungen. Nach dem Willen der Bundesregierung soll sich dies zumindest für die Dauer der Pandemie für die Arbeits- und Sozialgerichte ändern. Sie befürchtet trotz der Kurzarbeitregelung durch den ökonomischen Stillstand und den weltweiten Ausnahmezustand Entlassungen größeren Ausmaßes. Auf die Arbeits- und Sozialgerichte, so die Annahme, könnte daher in den nächsten Monaten eine Prozesswelle zurollen.
Doch wie wird über Kündigungsschutzklagen verhandelt, wenn Prozessbeteiligte wegen der Ansteckungsgefahr nicht teilnehmen wollen? Ende April hat das Kabinett in Berlin einen Gesetzentwurf verabschiedet, der es ermöglicht, dass ehrenamtliche Richter künftig per Bild- und Tonübertragung zugeschaltet werden.
Bei den Arbeitsgerichten stehen dem Berufsrichter zwei ehrenamtliche Richter zur Seite, die von Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden entsandt werden. Die drei Richter würden nicht mehr unmittelbar und gleichzeitig an Verhandlung und Beratung teilnehmen. Auch Kläger und Beklagter sowie Anwälte, Zeugen und Sachverständige könnten von zu Hause aus zugeschaltet werden.
Das Bundesarbeits- und das Bundessozialgericht sollen sogar ohne Einverständnis der Streitparteien im schriftlichen Verfahren entscheiden können. Die neuen Regeln gelten nur vorübergehend, sie laufen am 31. Dezember 2020 automatisch aus. Bereits am 15. Mai wird nach derzeitiger Planung der Bundesrat über den Gesetzentwurf abstimmen.
Abschaffung des Mündlichkeitsprinzips in der Kritik
Obwohl die Idee zu der weitreichenden Neuerung von Arbeitsrichtern stammt, stößt die Abschaffung des Mündlichkeitsprinzips innerhalb und außerhalb der Justiz auf Kritik. „Der Grundsatz der öffentlichen mündlichen Verhandlung ist ein hohes Gut. Denn damit wird nicht nur das Vertrauen in die Arbeit der Gerichte geschützt, sondern auch die öffentliche Kontrolle gewährleistet. Auch in Krisenzeiten müssen Gerichtsverhandlungen grundsätzlich für die Öffentlichkeit offen und transparent ablaufen“, sagte Meier. Außerdem müssten die technischen Voraussetzungen gegeben seien. Die Einbindung von Verfahrensbeteiligten außerhalb des Justiznetzes in eine vom Gericht initiierte Videokonferenzschaltung wäre bereits jetzt möglich. „Man wird jedoch nicht im Handumdrehen alle Gerichte auf Videokonferenzbetrieb umrüsten können.“
Auch der DGB lehnt den Entwurf aus dem Haus von Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) ab. Der persönliche Kontakt der Richter untereinander und zu den Streitparteien sei wichtig, um sich ein eigenes Bild zu machen. Den ehrenamtlichen Richtern sei es genauso wie Arbeitnehmern und Abiturienten zuzumuten, unter Berücksichtigung von Abstandsregeln in größeren Räumen mit drei bis fünf Personen zu arbeiten. Das neue Gesetz ist überflüssig, kommentierte ein DGB-Sprecher den Entwurf.