Von Anja Beutler
Der Doktor steht vor seiner Praxis an der B 96 in Oberoderwitz. Wie ein Arzt sieht Roger Voigt derzeit nicht aus: Sein dunkles T-Shirt und die Arbeitshosen sind schlammbespritzt. Der zur Praxis gehörende Vorhof ist zugeparkt mit allerlei Handwerkerwagen. Dazwischen schmiert der Schlamm unter den Schuhen. Viel Zeit hat der Arzt nicht zum Erzählen. Er hat zu tun. Bei dem heftigen Unwetter am Sonntag hat eine riesige Schlammlawine aus Richtung Spitzberg sein Haus überrollt und den Keller geflutet. Dort war gestern erstmals wieder Boden in Sicht – und die Chance, den Strom wieder anzuschließen.

Die Praxis von Susanne und Roger Voigt hat einiges eingebüßt: Geräte und Altkarteikarten, die im Keller lagerten: „Acht Container haben wir schon entsorgt“, sagt Roger Voigt. 50 000 Euro Schaden werden es wohl sein, schätzt er ein. Doch er wirkt nicht völlig niedergeschlagen. Zum einen ist er froh über die zweite Welle, die in sein Haus schwappte – die der Hilfsbereitschaft. Rund 30 Leute, Nachbarn, Gymnasiasten vom Christian-Weise-Gymnasium in Zittau, Feuerwehrmänner aus dem Ort, aus Ruppersdorf, Waltersdorf und Großschönau waren da und packten an.
Zum anderen hofft der Arzt auf seine Versicherung: Sein Haus liegt nicht am Fluss, er hatte nie Hochwasserprobleme. Auch 2010 nicht. Das, was ihn traf, war auch kein Hochwasser, sondern die Folgen des Unwetters, eine Schlammlawine von den Feldern. Morgen nun soll seine Praxis wieder erreichbar und weitgehend arbeitsfähig sein, sagt der Mediziner.
Gegen solche Unglücksfälle wie bei Dr. Voigt kann sich freilich niemand schützen. Gegen Hochwasser schon – sollte man meinen. Doch viele Möglichkeiten gibt es nicht – manche Probleme sind hausgemacht:
Hochwasserschutz am Fluss: Kaum möglich, wirksam zu schützen
Schon seit dem 2010er Hochwasser wird über mehr Schutz für Oderwitz diskutiert. Auch bei der Landestalsperrenverwaltung (LTV), die in Niederoderwitz für das Landwasser zuständig ist. Mut machen kann der hiesige LTV-Betriebsleiter Sebastian Fritze nicht: „Ein solider Schutz ist in Oderwitz nicht möglich“, sagt er. Oderwitz liege in einem Tal zwischen Gebirgsrücken und sei vor allem im Flussbereich eng bebaut. Wo soll das Wasser also hin? Die LTV versucht derzeit mit Anwohnern zu sprechen, um die Ufermauern so umzubauen, dass wie eine Art Trog entsteht. So kann das Gewässer mehr fassen und schneller abfließen. Die Gemeinde selbst analysiert für das Landwassers in Oberoderwitz derzeit die Problemstellen. Dazu gehören auch Brücken.
Rückhaltebecken: Sind nicht
überall die Lösung
Zwar hätte das Rennersdorfer Rückhaltebecken weder den Oderwitzern noch den Ruppersdorfern oder Strahwaldern genutzt. Dennoch wünschte sich Herrnhuts Bürgermeister Riecke (Herrnhuter Liste) und seine Kollegen auf dem Eigen, dass das Becken endlich funktioniert und alle betroffenen An- und Unterlieger schützt. Schönau-Berzdorfs Bürgermeister Christian Hänel (parteilos) hat bereits Montag einen Brief an das Ministerium geschrieben, um Druck zu machen. Auch Bürger wollen sich an den Umweltminister wenden. Ein genauer Termin für den Reparaturstart am undichten Becken gibt es aber noch nicht. Auch in Oderwitz gibt es Pläne für ein kleines Becken, wenn auch nicht für das Landwasser. Über den genauen Plänen sitzt die Gemeinde noch. Für Ruppersdorf sieht Riecke kein Heil in einem Becken. Er ist gespannt, wie sich die neue Trasse der B 178 auf Ruppersdorf auswirke und ob die dort eingeplanten Rückhaltebecken fruchten.
Pegel- und Regenmesser: Kurze Flüsse sind kaum fassbar
Die Diskussion um mehr Pegel gibt es seit Langem. Doch das Landwasser zeigt: Trotz Messstelle kamen die Fluten zu schnell. Binnen zwei Stunden stieg das Wasser um zwei Meter auf den Höchstwasserstand von 2,60 Metern. Das gleiche Problem haben viele Gemeinden mit kleinen Flüssen, die zu kurz sind, um einen sinnvollen Pegel einzurichten. Würden also Regenmesser auf Spitzberg oder Kottmar helfen, um etwas mehr Zeit zu gewinnen? LTV-Mann Fritze ist skeptisch, will es aber nicht ausschließen. Diese Messstellen müsste jemand von der Gemeinde betreuen. Und ein Zeitverzug werde man immer haben – selbst bei den Messstellen der Wetterdienste. Fritze mahnt aber vor allem die Gemeinden und Feuerwehren zur Sensibilität.
Eigenschutz: Vorsorge ist wichtig, Kommunen müssen kontrollieren
Bleibt die Erkenntnis, selbst vorzusorgen: Bei Andrea und Frank Pfennigwerth hat das einigermaßen funktioniert: Die Niederoderwitzer haben sich nach der 2010er Flut Spundwände für ihre drei Haustüren angeschafft. So konnten sie das Problem abmildern. Dass die Landwasserbrühe doch durch die Wände sickerte, war nicht zu verhindern, aber der Schaden sei eher glimpflich. Solche Vorkehrungen treffen inzwischen viele Privatleute. Denn ihr Haus einpacken und ein Stück vom Fluss wegziehen kann keiner. Ob unbewohnte Häuser am Fluss künftig noch Käufer finden oder besser abgerissen werden sollten, müssen allerdings die Eigentümer entscheiden. „Da kann die Kommune wenig Einfluss nehmen“, betont Herrnhuts Bürgermeister, der diese Frage in den nächsten Jahren kommen sieht.
Auch in Oderwitz wird im Dorf schon über Brachenabriss am Fluss diskutiert. In einer Sache sieht Riecke die Stadt aber in der Pflicht: „Wir müssen noch stärker kontrollieren, noch sensibler sein“, sagt er.
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