Von Georg Moeritz
Dresden. Kennen Sie Volkmar Heinrich? Nein? Er ist ein wichtiger Mann in Sachsen. Heinrich führt nicht nur die Geschäfte der Gewerkschaft Nahrung, Genuss, Gaststätten in Dresden. Er leitet auch den Widerspruchsausschuss der AOK Sachsen. „Viel zu entscheiden“ seit der Gesundheitsreform hat der Gewerkschafter dort nach eigenen Worten: Menschen mit wenig Geld fordern von der Kasse Bezahlung von Arznei in Streitfragen.
Sein wichtiges Ehrenamt hat Heinrich bekommen, ohne dass die Mitglieder der AOK darüber abstimmten. Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände in Sachsen haben sich untereinander geeinigt, welche 30 Vertreter viermal im Jahr als Verwaltungsrat der AOK zusammenkommen. Und in fast allen anderen Krankenkassen und Berufsgenossenschaften läuft es genauso. „Die Menschen wissen doch gar nicht, was sie wählen sollen“, rechtfertigt Heinrich, was in diesem Jahr wieder als „Friedenswahl“ für sechs Jahre kaum bemerkt vor sich geht.
Mitwählen dürfen die Versicherten nur, wo mehr Kandidaten als Plätze antreten. Das gilt bei der Rentenversicherung – also haben 1,6 Millionen Sachsen vorige Woche einen Stimmzettel erhalten. Manche bekamen zwei: wenn sie Mitglied der Barmer oder DAK, der Techniker-Krankenkasse oder der KKH sind. Eine landwirtschaftliche Unfallkasse und zwei Betriebskrankenkassen lassen ebenfalls dieses Jahr Vertreter wählen.
Schon 16-jährige Versicherte dürfen bei dieser Wahl ihre Stimme abgeben – doch es fehlt an Wahlkämpfern, die für die eine oder andere Gruppe trommeln würden. Nur Plakate, darauf rote Wahlumschläge mit Kulleraugen, lenken hier und da die Aufmerksamkeit auf die Sozialwahl. Darum gekümmert haben sich Doris Pfeiffer und Herbert Rebscher, die Chefs von Verband der Angestellten-Krankenassen und Bundesversicherungsanstalt für Angestellte. In Dresden warben sie gestern außerdem vor Journalisten für die Wahl. Vor sechs Jahren schickten höchstens 40 Prozent ihre Briefe ab, bei manchen Kassen weniger. „Eine Online-Wahl beim nächsten Mal“ will Rische durchsetzen, in der Hoffnung auf mehr Interessierte per Internet.
Doris Pfeiffer weiß, dass die Parlamente der Kassen vielen Bürgern als langweilige Gremien erscheinen. Sie haben auch nicht die hohen Sozialabgaben verhindert. Trotzdem seien „die Einflussmöglichkeiten sehr hoch“, sagt Pfeiffer. Ob eine Krankenkasse zum Beispiel Akupunktur oder einen Bonus für die Beteiligung an Gesundheitsprogrammen anbietet, das stehe nicht im Gesetz – so etwas werde von den gewählten Vertretern entschieden.
Pfeiffer wünscht sich eine „starke Interessenvertretung gegenüber den politischen Akteuren“, wenn über Kostenpunkte wie Bürgerversicherung oder Kopfpauschale diskutiert wird. Das sind Themen, mit denen auch einige der Kandidaten für sich werben. Im Internet und in den Kassen-Broschüren lassen sich zumindest einige grundsätzliche Unterschiede in der Haltung zur Reform von Kranken- und Rentenversicherung finden.
„Wir haben abgesprochen, die gegnerischen Listen nicht zu diffamieren und niemanden persönlich anzugreifen“, sagt der SZ Wolf Garling, Vorsitzender des Verwaltungsrats der Techniker-Krankenkasse. Er war mit seiner TK-Interessengemeinschaft 1999 Sieger der Wahl, muss sie sich diesmal aber von Weitem anschauen: Die Konkurrenten von der Industriegewerkschaft Metall haben Formfehler bei dem „von Parteien und anderen Organisationen unabhängigen Verein“ vor den Beschwerdeausschuss gebracht. Nun darf Garlings Liste, die zuletzt 53 Prozent der Stimmen bekam, erst wieder 2011 bei der Techniker-Krankenkasse antreten. Nachgerückt ist die bisherige Nummer Zwei, die TK-Gemeinschaft, die ebenfalls ihre Unabhängigkeit von Gewerkschaften herausstellt.
Jene revanchieren sich, indem sie beispielsweise in der Mitgliederzeitschrift „Metall“ ihren Konkurrenten „schwer durchschaubare oder gar Arbeitgeberinteressen“ vorwerfen. Zum Streit in den Gremien kam es bisher spätestens dann, wenn die Tarifverträge der Kassen-Angestellten Thema waren.
Wer die Selbstporträts der 14 Listen in der BfA-Broschüre durchliest, findet solche Streitfragen nicht. Einige Listen sagen halbwegs klar, ob sie mehr Beitragszahler in die Rentenversicherung einbeziehen wollen, andere lehnen das klar ab. Manche verlassen sich auf ihre Erfahrung und stellen ihre aktiven Vertreter heraus: Gerda Piepho, so die Wahlwerbung, ist „seit 40 Jahren ehrenamtlich tätig“.
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