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„Ich übernehme dafür die Verantwortung“

Kultusminister Christian Piwarz (CDU) zur Kritik an der Öffnung von Kitas und Grundschulen ab dem 18. Mai und wie sein Ministerium nun reagieren wird.

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Der CDU-Politiker Christian Piwarz ist seit Ende 2017 sächsischer Kultusminister. Nun muss er den Neustart in den Schulen und Kindertagesstätten organisieren.
Der CDU-Politiker Christian Piwarz ist seit Ende 2017 sächsischer Kultusminister. Nun muss er den Neustart in den Schulen und Kindertagesstätten organisieren. © Thomas Kretschel

Herr Minister, zwei Elternpaare haben erfolgreich geklagt, dass ihre Kinder ab dem 18. Mai nicht wieder die Grundschule besuchen müssen. Warum hat Ihr Haus nun für alle Grundschüler die Schulpflicht aufgehoben und setzt allein auf Freiwilligkeit?

Gerichtsentscheidungen haben wir grundsätzlich zu akzeptieren, auch wenn sie wie in diesem Fall nur zwischen den einzelnen Schülern und deren Schulen gelten. Wir werden Rechtsmittel einlegen, weil wir mit den grundlegenden Aussagen dieses Beschlusses so nicht übereinstimmen und dadurch Schwierigkeiten für die weitere Ausgestaltung des Schul- und Kita-Betriebs sehen. Wir wollen an diesem Montag aber einen Start ermöglichen, weil uns darum ganz viele Kinder, Eltern und Lehrer gebeten haben. Die mit der Öffnung verbundenen Sorgen nehmen wir natürlich ernst. Für Eltern, die ihr Kind noch nicht in die Grundschule schicken möchten, haben wir daher die Möglichkeit geschaffen, dass das Kind vorerst weiter zu Hause lernen kann.

In welchem Punkt sind Sie anderer Meinung als die Richter?

Es geht vor allem um die Frage, ob auch ein Grundschüler in der Lage ist, vorgeschriebene Abstandsregeln über den ganzen Tag einzuhalten wie zum Beispiel ein 17-jähriger Gymnasiast. Wir glauben dagegen, dass für einen Siebenjährigen eher die Hygiene- und Abstandsregeln gelten sollen, die wir jetzt auch im Kitabereich anwenden.

Was haben Sie jetzt konkret vor?

Wir werden beim Oberverwaltungsgericht Bautzen Beschwerde gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Leipzig einlegen. Gleichzeitig wird der Schul- und Kita-Betrieb weitgehend so starten wie geplant. Wir werden uns genau anschauen, wie das funktioniert und gleichzeitig das juristische Verfahren weiterverfolgen. Von dessen Ausgang hängt alles Weitere ab, weshalb wir den freiwilligen Besuch der Grundschulen im Freistaat erst einmal bis zum 5. Juni befristet haben. Bis zu diesem Tag gilt auch die aktuelle Allgemeinverfügung zu den Corona-Beschränkungen.

Etliche Verbände und Gewerkschaften kritisieren die Kita- und Schulöffnung als zu früh und fordern, dass Sie dafür allein die Verantwortung übernehmen. Sind Sie dazu bereit?

Wir haben auf breiter Basis ein Konzept erarbeitet, wie wir die Öffnung der Kitas und Grundschulen ab dem 18. Mai wieder möglich machen. Dabei standen wir vor der Frage, wenn wir die bestehenden Regelungen weiterführen, schließen wir vor allem bei den Kitas einen Großteil der Kinder weiter aus. Wenn ich das vor dem Recht der Kinder auf Bildung betrachte, ist das für mich kein hinnehmbarer Zustand. Insofern übernehme ich die Verantwortung für Entscheidungen, die ich schlussendlich treffe, die aber wie schon gesagt auf einer breiten Basis erarbeitet wurden und die den Interessen der Kinder Rechnung tragen sollen.

Hören Sie hier noch einmal die CoronaCast-Folge mit Christian Piwarz vom 20. April:

Und wenn es schiefgeht?

Was heißt das, es geht schief? Wir sind in einer Situation, wo wir uns nach wie vor in einem Infektionsgeschehen bewegen. Gott sei Dank verharrt das derzeit auf einem sehr niedrigen Niveau. Das möge auch lange so anhalten. Wir sind aber auch in der Situation, dass wir bisher in Sachsen keinerlei Indizien haben, dass aus den Kitas und Schulen Infektionen herausgegangenen sind. Diese sind eher von außen hereingetragen worden. Und das alles führt dazu, dass wir sagen, das Risiko ist derzeit aus unserer Sicht beherrschbar und deswegen können wir diesen Schritt im Sinne der Kinder gehen. Wir haben aber auch gesagt, dass das Konzept beinhaltet, wenn Infektionszahlen ansteigen, dass wir diesen Schritt wieder zurückgehen. Eben weil diese Offenheit, die wir jetzt praktizieren, dann nicht mehr möglich ist.

Mit welchen Problemen rechnen Sie selbst ab diesem Montag?

Da ist das grundsätzliche Thema, dass viele Kitas ihre bisherigen pädagogischen Konzepte nicht mehr vollumfänglich umsetzen können. Hier werbe ich um Verständnis, dass wir uns nach wie vor in einer Ausnahmesituation befinden. Deshalb muss man Abstriche machen. Es ist immer noch ein deutliches Plus, wenn ich Kinder betreue, statt sie nicht zu betreuen. Sicher werden Eltern an der einen oder anderen Stelle Fragen haben. Das erleben wir jetzt schon, weil Betreuungszeiten reduziert werden müssen. Bisher waren 75 Prozent der Kinder nicht in der Notbetreuung. Wenn alle Familien diese Möglichkeit nun wieder nutzen können, sorgt das für Einschnitte und für entsprechende Diskussionen. Die Einhaltung der Regeln, das wird ein bisschen brauchen, bis sich alles einspielt. Nehmen Sie nur den Nachweis der Symptomfreiheit von Kindern. Manche Eltern denken, sie müssten ihr Kind täglich eingehend untersuchen. Darum geht es aber nicht. Es ist und bleibt eine Sondersituation, in der wir besondere Maßnahmen ergreifen. Und wir brauchen die Öffnung, um den Kindern gerecht zu werden – trotz der damit verbundenen Einschränkungen.

Die Gewerkschaft hält Ihnen vor, dabei die Grundrechenarten außer Kraft zu setzen. Wie lautet Ihre Rechnung, um mit zu wenig Kita-Personal einen so großen Mehraufwand zu stemmen?

Ich mache eine Gegenrechnung auf: Was wäre passiert, wenn wir bei unserem bisherigen System geblieben wären? Ich halte also den Großteil der Kinder aus den Kitas fern? Ich habe keine verlässliche Perspektive, wie ich Grundschulen ans Netz bringe? Die Jüngeren brauchen aber ihre Betreuer. Der Erstklässler muss Lesen, Schreiben und Rechnen lernen. Die Gegenrechnung wäre viel fataler, würden wir uns so an der Bildungsbiografie der Kinder versündigen.

Eltern sollen das neue Kita-Angebot „vernünftig“ nutzen, um Überlastungen zu vermeiden. Was ist vernünftig?

Wir haben dafür geworben, dass sich alle bewusst sind, in welcher Situation wir uns befinden. Die Kitas bei der Frage, wie sie ihr pädagogisches Konzept auf diese Sondersituation adaptieren. An die Eltern ging die Bitte, genau zu prüfen, wie viel Betreuung brauchen sie für ihr Kind unbedingt. Zum Beispiel, dass ein Teil der eigenen Arbeit doch weiter im Homeoffice erbracht wird, um die Kitas zu entlasten. Auch an Arbeitgeber ergeht die Bitte, auf diese besondere Betreuungssituation kulant zu reagieren. Aus meiner Sicht kann es nicht sein, dass ein Arbeitgeber sagt, jetzt sind die Kitas wieder offen, jetzt muss mir mein Arbeitnehmer wie gewohnt zur Verfügung stehen. Es gibt ab diesem Montag eben kein vollständiges Kita-Angebot. Wir können nicht von jetzt auf gleich zu einem hundertprozentigen Normalbetrieb zurückkehren. Alle müssen dabei an einem Strang ziehen. In diesen schwierigen Zeiten brauchen wir ein Bündnis für die Kleinsten, ein Gesellschaftsvertrag für die Kinder, die sonst in der Krise drohen, unter die Räder zu geraten. Das ist meine Bitte.

Lange Zeit hieß es, Kitas und Schulen werden nur schrittweise wieder geöffnet. Warum nun gleich volles Risiko?

Wir gehen kein volles Risiko, sondern öffnen ja schrittweise. In den Schulen zunächst mit der Rückkehr der Abschluss- und später der Vorabschlussklassen. In den Kitas gab es lange eine eng begrenzte Notbetreuung, die nach und nach gelockert wurde. Der nächste Schritt ist nun der eingeschränkte Regelbetrieb in Kitas, die mögliche Rückkehr aller Grundschüler sowie die Rückkehr der anderen Klassenstufen.

Und wenn es mit den Hygieneregeln doch nicht klappt wie gedacht? Gibt es Notfallpläne? Ab wann werden Kitas und Schulen wieder geschlossen?

Das Maßgebliche ist hier das Infektionsgeschehen. Wenn in Schulen und Kitas die Zahlen steigen oder sich Infektionsherde bilden, müssen wir reagieren. Der Vorwurf, das würde alles im Chaos enden, ist sehr unsubstanziiert. Das kann alles bedeuten, aber auch nichts. Am Schluss kommt es auf die Organisation vor Ort an. Wir haben immer gesagt, es kann zu punktuellen Einschränkungen kommen. Und ja, das System ist sehr eng gestrickt. Aber ein solches System ist besser, als die Kinder weiter von Betreuung und Bildung auszuschließen.

Das Gespräch führte Gunnar Saft.