SZ +
Merken

Plattenbau

Ich bin mit meiner Frau nach Schwerin gefahren. Und das war ein schöner Tag, die Sonne flirrte um das Wasser. Wir haben uns eine schöne Adventspyramide gekauft, die immer in der Adventszeit bei uns zu Hause brennt.

Teilen
Folgen

Ich bin mit meiner Frau nach Schwerin gefahren. Und das war ein schöner Tag, die Sonne flirrte um das Wasser. Wir haben uns eine schöne Adventspyramide gekauft, die immer in der Adventszeit bei uns zu Hause brennt. Die stammt zwar aus dem Erzgebirge, aber für uns war es das erste Stückchen Schwerin. Dann haben wir das schöne Schloss gesehen, das viele Wasser und haben spontan gesagt: Das könnte was werden. Wir hatten die Vorstellung, wir würden in ein schönes Häuschen ziehen am Schweriner See mit herrlichem Seeblick, vielleicht mit einem Segelbötchen unten am Wasser. Das war so unsere Idealvorstellung. Dann wurde ich als Staatssekretär für Kultus ausgeguckt. Aus dem Häuschen wurde nichts – die waren nämlich vermietet, enteignet, beschlagnahmt, umstritten. Da führte überhaupt kein Weg rein, und so sind wir für den Anfang in eine Plattenbauwohnung gezogen, ab Januar 1991, weil die eben frei war. […] Wir haben am Anfang viel Besuch bekommen. Platz ist in der kleinsten Hütte. Auch da haben wir Nikolaus gefeiert wie immer. Wir haben schöne Dinge erlebt. Neue Freunde haben uns ein Ständchen gebracht, als wir eingezogen sind. Er war Zahnarzt und Geiger und spielte für uns vor der Tür. Das war wunderbar. Wir haben es uns irgendwie schön gemacht. Zwei Drittel der Möbel unserer alten Wohnung hatten wir in einem Lager in Lübeck untergestellt, weil wir schon wollten, dass das nur eine Übergangslösung sein sollte. Und dann hat es doch zwei Jahre dauert. Aber zum Ankommen in Schwerin war das sehr wichtig und sehr gut, auch für die Akzeptanz, auch in einem Plattenbau. Andere Kollegen aus dem Westen sind nach Ratzeburg gezogen oder langfristig gependelt. Die, die pendelten, habe ich noch eher akzeptiert. Aber wenn jemand von Köln nach Schwerin zum Arbeiten kam und trotzdem nach Ratzeburg zog, damit die Familie weiter im westdeutschen Schleswig-Holstein leben konnte – das fand ich unerhört. Wir haben das nicht deswegen gemacht, um bei den Ostdeutschen, den Mecklenburg-Vorpommern gut anzukommen, sondern weil die Familie zusammen sein wollte.

Trotzdem gefiel es den Menschen in Schwerin, weil wir unter den Politikern und Staatssekretären aus dem Westen lange die Einzigen waren. Und weil wir gleich mitmachten. Und in unserem Plattenbau haben wir aus unserem Leben erzählt. Der Plattenbau war gerade erst fertig geworden, da war rings um das Haus noch Erde und kein Gras und nichts. Im Sommer war plötzlich das Wasser abgestellt, weil halt nach dem Winter die Fernwärme gewartet werden musste. Da gab es unten einen Aushang: ,Seit gestern gibt es zwei Wochen kein warmes Wasser.‘ Das ist mit kleinen Kindern nicht so toll. Darüber haben wir uns beschwert. Aber die Mecklenburger haben uns gesagt: ,Regt euch nicht auf, das ist doch immer so. Seid lieber froh, früher waren es drei Wochen.‘