Von Birgit Grimm
Der Spätsommer meint es gut mit Martin Wolf und seinen Restauratoren-Kollegen. Sie können bei ihrer Arbeit keine gleißende Sonne und erst recht keine tropische Hitze gebrauchen. Wenn die Sonne in den Großen Schlosshof knallt, können sie weder römische Helden noch biblische Damen im Putz an den Außenwänden verewigen. Auch Buchstaben, Blüten und Ornamente würden den Sgraffito-Malern nicht gelingen, wenn das Wetter nicht mitspielte. Ist der Putz zu nass, halten die Konturen nicht. Ist er zu trocken, splittert er von der Wand. Dann war alles für die Katz, und die Sgraffiteure müssen mit ihrer Arbeit von vorn beginnen. „Das ist zum Glück noch nie passiert“, sagt Martin Wolf.
Der 71-Jährige arbeitet seit über zwanzig Jahren am Dresdner Schloss. Er ist einer von 13Malern, Grafikern, Restauratoren, die zurzeit an der Ostfassade im Großen Schlosshof auf den Gerüsten arbeiten. Wolf war einer der Ersten, die 1990 die alte Technik der Sgraffito-Malerei wieder ausprobierten. Er hatte zwar in seinem Studium der Wandmalerei an der Dresdner Hochschule für Bildende Künste eine Ausbildung dazu erhalten. Aber das war ewig her. Niemand war seitdem auf die Idee gekommen, eine Fassade des 16.Jahrhunderts wie die im Dresdner Schlosshof wiederherstellen zu wollen.
Das Schloss war 1945 zerbombt worden. Als in den 1980er Jahren der Wiederaufbau beschlossen wurde, war bereits klar, dass es zu einem modernen Museumszentrum wird. Von Anfang an wurde auch diskutiert, welchen Teil des Schlosses man rekonstruieren soll. Und wenn ja, in welcher Fassung? Fast zwanzig Jahre dauerte der Disput. Auf diversen Kolloquien redeten sich die Fachleute in Rage, stritten Architekten mit Denkmalpflegern, Kunsthistoriker mit Politikern – und Dresdner Bürger mischten immer mit. In den 1990ern wurde der Vorwurf laut, Sachsen baue ein Disneyland, weil man im Großen Schlosshof begonnen hatte, die Fassaden des 16.Jahrhunderts wiederherzustellen. Zumal die Befundlage nicht so eindeutig war, wie es für eine historisch korrekte Rekonstruktion notwendig wäre. Niemand kann heute sagen, wie die im 16.Jahrhundert geschaffenen Fassaden im Detail ausgesehen hatten. Denn die im sonnigen Italien oft und gern angewandte Putzkratztechnik – das Sgraffito – hatte dem Wetter nördlich der Alpen nicht besonders lange standgehalten. Schon 1602 musste restauriert werden, in den 1670er Jahren das zweite Mal. Manches Bild entstand dabei komplett neu, manches wurde in Grisailletechnik – Grau in Grau – gemalt.
Martin Wolf und seine Kollegen haben die von Anton Weck verfasste, erste gedruckte Chronik Dresdens aus dem Jahre 1679 zu Rate gezogen. Sie haben Hunderte von Kupferstichen und Gemälden ausgewertet, um Aufschluss zu bekommen über das ikonographische Programm des Schlosshofs. An den Fassaden wird gemordet und gekämpft, verraten und intrigiert. Es sind Heldentaten aus der römischen Geschichte und Erzählungen aus dem Alten Testament, die auf den Mut, die Tapferkeit und die Gerechtigkeit der sächsischen Kurfürsten verweisen.
Einer dieser römischen Helden ist der Feldherr Scipio. Er spricht zu seinen Soldaten, schwört sie vielleicht auf die nächste Schlacht ein. An diesen Szenen arbeiteten die Sgraffiteure in diesem Sommer. In der kühlen Gotischen Halle im Erdgeschoss des Ostflügels haben sie ihr Atelier eingerichtet. Die Entwürfe, die zuerst zehnmal kleiner gezeichnet und von den Fachleuten der Denkmalpflege begutachtet wurden, wurden später in Originalgröße ausgeführt. Davon wiederum fertigten die Künstler Lochpausen an, durch die sie die Umrisse nun auf die Wand stäuben, um sie dann in den Putz hineinzuvertiefen.
Wenn das Wetter mitspielt, arbeiten die Frauen und Männer nach einem strikten Ablauf in einem engen Zeitfenster, an das sich auch die Firma halten muss, die den Unterputz macht. Pünktlich wie die Putzer im Dresdner Schloss, das könnte zum geflügelten Wort in Sachsen werden.
Auf den Unterputz kommt der acht bis zehn Millimeter starke, grau gefärbte Sgraffitoputz. Mit Holzkohlepartikeln ist er versetzt. Darauf pinseln die Sgraffiteure zwei Schichten einer speziellen Kalktünche. Sie warten, dass die Tünche bis zu einem bestimmten Grad getrocknet, aber immer noch ein wenig feucht ist. „Man muss das im Gefühl haben, wann man anfangen kann“, erklärt Martin Wolf. Exakter lässt sich das einem Laien wohl nicht vermitteln.
Ist dieser Zeitpunkt ran, springen die Künstler aufs Gerüst. Sie arbeiten in zwei, drei Etagen übereinander. Sie liegen, sitzen, stehen auf dem Gerüst. Der eine kratzt an Scipios Bart, der andere schabt an dessen Lanze. Der dritte knöpft sich die Sandale vor. Sie kratzen mit Holzstäbchen, was das Zeug hält – bis die Fläche ausgefüllt ist. Zehn Quadratmeter in einer Schicht, vielleicht. „Tagwerke nennen wir das. Weil man nur die Fläche anfangen kann, die man fertig bekommt, ehe der Untergrund zu trocken wird“, sagt Wolf. Tags darauf beginnt der Wettlauf mit dieser gewissen Restfeuchte, der Wettlauf mit Wind und Sonne von vorn.
Die Truppe ist aufeinander eingeschworen. Intensiv diskutieren die Sgraffiteure die Entwürfe, die jeder für sich zeichnet. Auf der Fassade müssen die unterschiedlichen Handschriften ein einheitliches Bild ergeben. Künstlerische Freiheiten treten hinter das Gesamtprogramm zurück. „Selbstverwirklichung ist nur in der Gemeinschaft möglich. Damit hat keiner von uns ein Problem“, sagt Wolf.
Er hat die meiste Zeit seines Berufslebens für die Denkmalpflege gearbeitet – in der Semperoper, in der Albrechtsburg, im Schloss Rammenau, im Grünen Gewölbe. Aber er ist auch freier Künstler. Im Leonhardimuseum hatte er von einigen Jahren Collagen ausgestellt. Dass das Dresdner Schloss eine Lebensaufgabe für ihn werden könnte, hat er nicht geahnt, als er mit Peter Gabriel, Siegfried Winderlich und Mathias Zahn in den 1990er Jahren am Westgiebel begann. 1997 war dort Schluss. Zehn Jahre gingen ins Land, bis der Freistaat die Arbeiten im Schlosshof fortsetzen ließ. Nun ist der Hof kurz vor der Vollendung – und der Freistaat zieht erneut die Bremse. „2010 werden 13Millionen Euro im Schloss verbaut. 2011 sind es nur noch sechs, 2012 vier Millionen Euro“, sagt Finanzstaatssekretär Wolfgang Voß. „Die Krise ist in Sachsen angekommen, die Steuereinnahmen gehen zurück. Darauf müssen wir reagieren. Wir legen die Schlossbaustelle nicht komplett still, führen sie reduziert weiter.“
Der Flügel mit dem Riesensaal wird als nächstes fertig werden. Aber wann? Die Sachsen werden sich in Geduld üben müssen.
Die Restauratoren sind nicht begeistert, dass für sie zum Jahresende erstmal Schluss ist im Schloss, und keiner weiß, wann es weitergeht. „Das ist ja keine Maurerarbeit, die irgendwann andere Handwerker fortsetzen könnten“, sagt Mathias Zahn. Die Sgraffiteure haben sich für das Schloss Spezialwissen und spezielle Fertigkeiten angeeignet. Aber sie sind alle Freiberufler und können nicht untätig darauf warten, dass der Freistaat sie irgendwann wieder ruft.