Von Birgit Andert
Die Erde ist eine Scheibe. Und Ölwannen sind aus Metall. Wer wirklich innovativ sein will, muss irgendwann einmal auch scheinbar unabänderliche Tatsachen anzweifeln. Die Entwickler der Kunststofftechnik Sachsen GmbH in Ottendorf-Okrilla haben das getan. Seit einigen Jahren knobeln sie an der Aufgabe, eine Ölwanne aus Kunststoff zu fertigen. Denn Kunststoff ist leichter als Metall, er absorbiert den Schall besser, ist einfacher zu formen und preisgünstiger in der Herstellung. „Es waren sächsischer Erfindergeist, aber auch sächsische Beharrlichkeit, die uns schließlich zum Ziel geführt haben“, ist sich Reinhard Lietzmann, Geschäftsführer der Kunststofftechnik, sicher.
Zuerst ein Werkzeug für Wäschekörbe genutzt
Mit der jetzt vorgestellten ersten Ölwanne aus glasfaserverstärktem Polyamid haben die Kunststoffexperten einen Quantensprung in der Automobilindustrie geschafft. Und sind dafür prompt mit dem großen Innovationspreis der Internationalen Gesellschaft für Kunststofftechnik geehrt worden. Der europäische Preis wird aller 18 Monate verliehen und gilt unter Experten als „Kunststoff-Oscar“ der Automobilindustrie. „Mit der Entscheidung vom 11. Juli geht der Preis endlich dahin, wo er hingehört“, freut sich Lietzmann über die Auszeichnung. „Schließlich ist Sachsen die Wiege der Automobilindustrie.“ Auch seien Sachsen im Einfallsreichtum immer im oberen Feld gewesen, woran auch die Automobilzuliefer-Initiative anknüpft.
„Von Metall zu Kunststoff – das ist ein Paradigmenwechsel“, glaubt Lietzmann. Und fügt stolz hinzu: „Nicht umsonst hat Kunststoff auch mit Kunst zu tun.“ In der Kunst des Erfindens übten sich hier vor allem Roland Müller und Frank Rentsch aus der Entwicklungsabteilung, in der 30 der insgesamt etwa 300 Mitarbeiter beschäftigt sind. „Ich habe für den ersten Prototyp der Ölwanne ein Werkzeug umgebaut, das zu DDR-Zeiten Wäschekörbe gepresst hat“, erzählt Roland Müller, mit welchen Mitteln ein pfiffiger Erfinder am Anfang arbeiten muss.
Vor allem die schon bestehende Zusammenarbeit mit dem Automobilhersteller DaimlerChrysler hat dazu beigetragen, das Produkt tatsächlich bis zur Marktreife zu führen. „Das schwierigste ist die Überzeugungsarbeit“, sagt Roland Müller. „Überzeugen Sie mal einen Metallmenschen, dass ein Kunststoffprodukt die selben Anforderungen erfüllt wie eins aus Metall.“
Mit vielen Analysen an den Motoren testeten die Mitarbeiter ihre Ölwanne und konnten DaimlerChrysler am Ende tatsächlich von ihrem Produkt überzeugen. „Wichtigstes Argument war die Schallabsorption“, erklärt Müller. Während Metalle wie eine schallverstärkende Membran wirken, schwächt Kunststoff den Lärm des Motors ab. „In Zeiten von Sonntagsfahrverbot und strengen Auflagen zur Lärmemission ist das ein wichtiger Vorteil“, erklärt der Entwickler. „Wir nutzen dabei die Eigenschaften des Materials“, betont er. „Die Betriebstemperatur des Öls erwärmt die Wanne. Sie wird elastischer und kann noch mehr Motorenlärm absorbieren.“
Wanne war schon in Finnland unterwegs
Seit einem Jahr sind Lkws mit eingebauter Kunststoff-Ölwanne, die übrigens nur die Hälfte einer vergleichbaren Wanne aus Aluminium wiegt, in der Felderprobung unterwegs und haben sich inzwischen in den unterschiedlichsten Witterungen bewährt. „Einer ist sogar schon bis Finnland gefahren“, sagt Projektleiter Frank Rentsch, der außerdem bestätigt, dass die Ölwannen aus Kunststoff nicht nur für Lkws geeignet wären. Pläne für eine Weiterentwicklung in diese Richtung gibt es derzeit im Unternehmen jedoch noch nicht. „Wir sind froh über das Plateau, das wir erreicht haben“, formuliert Geschäftsführer Reinhard Lietzmann. „Darauf werden wir aufbauen.“
Serienproduktion startet Ende des Monats
Schon Ende des Monats soll die Wanne für DaimlerChrysler Lkws serienmäßig auf einer neuen Spritzguss-Anlage im Ottendorfer Werk hergestellt werden. „Wir investieren dafür knapp eine Million Euro“, sagt Peter Andres, Geschäftsführer der Zarnack-Gruppe, die im Freistaat neben der Kunststofftechnik Sachsen GmbH außerdem noch die Fahrzeugelektrik Pirna GmbH und Kabelwerk Lausitz GmbH besitzt. „Es ist uns wichtig, Innovationen zu unterstützen“, erklärt Andres diesen Schritt und lässt auch anklingen, dass die Gruppe weiter investieren will: „Im Herbst werden wir in die Planung eines neuen Gebäudes auf der grünen Wiese gehen“, sagt er, „in das der jetzige Betrieb im Ganzen umziehen kann.“
Die Kunststofftechnik Sachsen GmbH ist aus dem Presswerk Ottendorf-Okrilla hervorgegangen, in dem seit dem Beginn der 50er Jahre Haushaltsartikel wie Wäschekörbe, Toilettenbrillen und Lebensmitteldosen hergestellt wurden. Anfang der 90er Jahre wurde das Unternehmen von der Firma Riesselmann übernommen, gehörte von 1999 bis 2001 zur Matzner-Gruppe und ist schließlich an die Zarnack-Gruppe veräußert worden. Unter der Führung von Dr. Erich Liehr und Reinhard Lietzmann beschäftigt die Firma jetzt 300 Mitarbeiter und hat einen Umsatz von über 35 Millionen Euro. Sie stellt vor allem Teile für die Automobilindustrie her und hat sich dabei auch auf anspruchsvolle Bewegungsabläufe spezialisiert.
Vierter Preis für raffinierten Cupholder
Mit einem Cupholder, der auf einen leichten Fingertipp hin sanft ausfährt, haben die Ottendorfer Entwickler deshalb noch eine zweite Ehrung der Internationalen Gesellschaft für Kunststofftechnik eingeheimst: Nach bekannten Automobilherstellern wie BMW und Audi haben sie den 4. Preis im Interieur nach Sachsen geholt.
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