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Rad-Arbeit ersetzt den Hüftschwung

Behinderung. Ein junger Meißner sitzt im Rollstuhl und tanzt trotzdem. Er hat Erfolg damit.

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Von Martin Machowecz

Ohne Unfall gelähmt mit 22: Ein Schock. Wenn ein junger Mensch, der sein Leben noch vor sich hat, plötzlich im Rollstuhl sitzt, ist nichts mehr, wie es war. Torsten Schiller aus Meißen ist gelähmt. Er streckt die Hand aus, um die Türklinke zu erreichen. Dann fährt er ins Wohnzimmer. Torsten Schiller sitzt im Rollstuhl, seit fünf Jahren ist sein Körper gelähmt. Nur die Arme kann er noch bewegen.

Vorher, bis zum Februar 2000, war er Bundeswehrsoldat, für vier Jahre hatte sich der Meißner verpflichtet. Er war topfit, im Kosovo im Einsatz und gerade auf Heimaturlaub. Am letzten Urlaubstag begannen dann seine Rückenschmerzen. Die Lähmung kam ganz plötzlich. Mit einem Mal war der junge Meißner querschnittsgelähmt - aus heiterem Himmel, ohne Vorwarnung. Angefangen hatte alles mit einem stechenden Schmerz im Schulterbereich. Zwei Tage dauerte es, bis er gelähmt war. Eine Einblutung ins Rückenmark hatte zur Lähmung geführt. Ohne Unfall.

Der 27-Jährige hält neben dem Sofa und verschränkt seine Arme. „Man hat in einer OP versucht, das rückgängig zu machen, aber es hat nichts gebracht“, erzählt er. Er war zwei Wochen im Krankenhaus, dann begann die Reha in Kreischa. „Kurz über der Brust abwärts ist alles weg“, sagt er nüchtern. Und dann: „Alles musste ich neu lernen - das Anziehen, den Umgang mit dem Rollstuhl, einfach alles“, erinnert er sich. Er hatte gerade seinen Traumberuf gefunden. „Ich hätte das mit der Bundeswehr gerne weiter verfolgt“, sagt er dazu. Daran war aber nicht mehr zu denken.

Verbittert ist er nicht

Wenn er spricht, tut er das ganz ruhig, als würde er über jedes Wort kurz nachdenken und nichts Unbedachtes sagen wollen. Er ist nicht hektisch, und er sagt, dass er irgendwie seinen Frieden mit der Erkrankung gemacht hat. Der ehemalige Soldat hat es weggesteckt. „Ich habe mir erstmal keine Gedanken über die Zukunft gemacht“, sagt er. Am Anfang konnte er das gar nicht, weil er Beruhigungsmedikamente bekommen hat. Die braucht er jetzt nicht mehr. Dann hebt er seine Cappuccinotasse vom Tablett, das er sich auf die Oberschenkel gestellt hat, trinkt einen Schluck und redet weiter, lange und ausgedehnt erzählt er aus seinem Leben. Er kann gut über das, was ihm passiert ist, reden, manchmal lacht er dabei sogar ein wenig. Das Tanzen, sein neues Hobby, hilft ihm dabei.

Die Oberarme des Rollstuhlsportlers sehen kräftig aus, aber es fehle einiges an Kraft, sagt er. Sportlich begonnen hat alles mit Rollstuhl-Rugby. Während der Reha hat die Dresdner Sportgemeinschaft Eureha, die es sich zum Ziel gemacht hat, Behinderte zum Sport zu führen, Rugby angeboten. Dem jungen Meißner hat das zwar Spaß gemacht. Befriedigt hat es ihn aber nicht. „Im Rugby wäre ich nie so weit gekommen“, sagt er. Schiller ist ehrgeizig. Er will immer gewinnen, ein Großer werden in dem Sport, den er macht. „Ich hätte dort nie so weit kommen können wie mit dem Rollstuhltanz.“

Man kann sich kaum vorstellen, wie Rollstuhltanz aussehen mag, aber man macht es zusammen mit einer gesunden Partnerin, einer „Fußgängerin“, wie er es nennt. Musik muss in Rad-Arbeit umgesetzt werden: Schub- und Zugbewegungen im Rhythmus der Musik. Eureha hat den Sport 2001 mit dem Tanzverein Saxonia aus Dresden ins Leben gerufen. Torsten Schiller wurde schnell umworben, er sollte es ausprobieren. „Ich dachte nur: Lasst mich in Ruhe, ich mache hier mein Rugby“, sagt er. Dann hat er ein bisschen lustlos angefangen. „Denen hat es aber gefallen, ich sollte dabei bleiben.“ Er hat weitergemacht, und irgendwann ist das Tanzen zur Leidenschaft geworden.

Er nimmt die Hände aus dem Schoß, fasst an die Rollstuhlräder und schiebt sich aus dem Zimmer. Es hat geklingelt, und er nimmt ein Paket entgegen, alles selbstverständlich. Mit seinem Schicksal hat er sich arrangiert, auch wenn er nicht behaupten würde, glücklich zu sein. „Wir haben aus der Situation das Beste gemacht“, sagt er. „Wir“, das sind Torsten Schiller und seine Freundin Maria Nowack. Die Frau hat er beim Rollstuhltanz kennen gelernt. Anfangs mochten sich die beiden nicht, sie wurden beinahe zum Zusammentanzen gezwungen. „Vielleicht waren wir uns zu ähnlich“ überlegt er. Irgendwann lernten sie sich besser kennen. Jetzt sind sie ein Paar. Die Freundin tanzt schon länger, allerdings bei den „Fußgängern“.

Erfolg macht ein bisschen stolz

Der Aufstieg kam schnell. Das erste Breitensportturnier haben die beiden gleich gewonnen, nach einem halben Jahr Training. Dreimal die Woche übten sie. Es hat nicht lange gedauert, da waren die beiden Dritte bei den Weltmeisterschaften im Rollstuhltanz. Der junge Meißner erzählt die Geschichten nüchtern, fast emotionslos: Wie er im November 2002 den Deutschlandpokal gewann, wie der Bundestrainer ihn und seine Partnerin danach zum Probetraining eingeladen hat, wie sie wenig später Deutsche Meister wurden und sich damit die Fahrkarte zur WM nach Tokio sicherten. „Leider mussten wir bis auf die Reise alles selbst zahlen“, sagt er. „Der Spezialrollstuhl kostet 4 500 Euro, Maria brauchte ein Kleid, ich einen Turnierbody.“ Er trinkt aus seiner großen, orangefarbenen Tasse. Eine Woche nach Tokio, im November 2004, waren wieder Deutsche Meisterschaften. „Ach ja, die haben wir auch gewonnen“: Es klingt fast beiläufig. „Okay, darauf sind wir wirklich stolz“, sagt der junge Mann. Schiller startet in der Klasse der am schwersten Beeinträchtigten. Dass er auch gegen die gewinnen konnte, die beweglicher sind, gefällt ihm.

Für den Meißner kam der Erfolg beinahe genauso plötzlich wie die Behinderung im Jahr 2000. Der Sport hilft, mit der Behinderung zu leben – gerade einem jungen Menschen wie Torsten Schiller.