Von Wolfgang Schmidt
Es ist nun auch schon in die Jahre gekommen, das Orchestrion in der ehemaligen Neukircher Gaststätte Hillmann. Dabei ist dieser Musikveteran eine Rarität. Zum einen werden die Töne der Instrumentenstimmen wie Flöte, Mandoline, Orgel, Violine und Xylophon mit Klavierbegleitung in die Orchestermusik eingebunden. Zum anderen kann das Ins trument als eigenständiges, mechanisches Klavier genutzt werden.Viele Neukircher Einwohner und Gäste des Hauses werden sich noch an die fulminante Musik erinnern, die dem Orchestrion entlockt wurde. Alte Melodien wie der Hohenfriedberger-Marsch, zwei Herzen im Dreivierteltakt, das Rheinländermädchen oder die Weihnachtslieder klingen noch heute in den Ohren. Auf Papierrollen, die über Walzen gezogen werden, sind durch eingestanzte Löcher die Melodien programmiert. Noch zehn Rollen sind vorhanden, auf denen 30 Hits von einst gespeichert sind.
Und billig war das Musikvergnügen immer. Für ein Zehnpfennigstück – egal in welcher jeweils gültigen deutschen Währung – war man dabei, und die Musikmaschine im Schrank begann ihr Werk.
Die Geschichte von Hillmanns Orchestrion reicht bis Anfang des vorigen Jahrhunderts zurück. Damals gründeten August Hillmann und Gustav Adolf Steglich in Oberneukirch eine Obst- und Beerenweinproduktion. 1907 machte sich August Hillmann selbstständig und kaufte das von den Nachkommen noch heute genutzte Gebäude an der Zittauer Straße als Obstweinkelterei. Vier Jahre später erweiterte er es um eine Gaststätte mit Weinausschank. Als „Apfelweinschänke“ und „Wein-Hillmann“ wurde die Lokalität weithin bekannt. Um die Attraktivität der Gaststätte zu erhöhen, kaufte August Hillmann im Jahre 1915 ein Hupfeld-Orchestrion. So wie in weiteren Wirtshäusern im Ort und in der Region wurden die „Hausorchester im Schrank“ besondere Anziehungspunkte.
Nur das fast 2,50 Meter hohe Orchestrion der Familie Hillmann gibt es heute noch in der Oberlandgemeinde. Bis zur Schließung der verpachteten Gaststätte vor zwei Jahren war der Musikveteran noch im Einsatz.Immer mehr nagte der Zahn der Zeit an den technischen Einrichtungen des Multi-Musikinstrumentes. Mit dem jetzt 68-jährigen Gottfried Hillmann, Enkel des Keltereigründers, gibt es in der Familie einen Technikfan, der selbst komplizierteste elektrische und mechanische Einrichtungen in Standsetzt. Er durchschaut die Konstruktion der Vorfahren, pflegt und wartet das Instrument. Derzeit ist der Fraek auf der Suche nach winzigen Löchern in den Blasebälgen des Orchestrions. „Zu viel Luft geht verloren“, ärgert er sich.
„An sich“, philosophiert Gottfried Hillmann, „ist die Wirkungsweise eines Orchestrions ebenso einfach wie raffiniert“. Ein Elektromotor betätigt vier Blasebälge, die durch Unterdruck die Ansteuertechnik beeinflussen sowie durch Druck die eingebauten Instrumentenstimmen zum Klingen bringen.
Hillmanns musikalisches Fossil soll bald wieder funktionstüchtig sein, und vielleicht kann es später einen anderen Platz im Haus finden, da der ehemalige Vereinsraum mit als Lager genutzt wird.
„Meine beiden Söhne“, freut sich Gottfried Hillmann, „haben auch ein Faible für die Technik, so dass das Orchestrion weiter musizieren wird.“