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Rasante Commedia del Arte

„Dziwnuska sewcowa“ - „Die wundersame Schustersfrau“ — heißt das Stück, das am kommenden Sonnabend im Bautzener Taher Premiere hat. Inszeniert wurde es von Regisseur Lutz Gotter. Janina Brankatschk begleitete die Proben als Stellvertreterin des Intendanten.

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„Dziwnuska sewcowa“ - „Die wundersame Schustersfrau“ — heißt das Stück, das am kommenden Sonnabend im Bautzener Taher Premiere hat. Inszeniert wurde es von Regisseur Lutz Gotter. Janina Brankatschk begleitete die Proben als Stellvertreterin des Intendanten.

Zwei Ihrer Bautzener Inszenierungen haben Sie nach der deutschen „Ur“-fassung auch auf Sorbisch inszeniert: 2001 „Hänsel und Gretel“ auf Ober-, 2002 „Londn - L.Ä. - Lübbenau“ auf Niedersorbisch. Nun inszenieren Sie erstmals in sorbischer Sprache ohne deutsche „Vorlage“. Provokant gefragt: Kann das ein Deutscher überhaupt?

Lutz Gotter: Ich möchte mich da nicht überheben und sagen „keine Probleme“ oder so. Natürlich musste ich mich bei meiner ersten sorbischen Inszenierungs-Umsetzung erst in den Sprachrhythmus einhören. Aber mein Vorurteil, Sorbisch sei eine eher schwerfällige Sprache, die dem Spielen manchmal im Weg steht, hat sich mittlerweile ins Gegenteil gewandelt. Sorbisch ist eine sehr klangvolle, poetische, knappe Sprache, die gerade vom Theaterstandpunkt aus beim Inszenieren richtig Spaß macht. Allgemein gesprochen ist es aber gar nicht die Sprache, die bei Theater im Vordergrund steht - sonst gebe es keine schlechten Klassikerinszenierungen und keine tollen Theaterabende mit eigentlich gar nicht so starken Texten. Sicher ist der Text wichtig, aber die Theatersprache überschreitet diesen, ist viel komplexer. Bei ihr kommt es vor allem auf Raum, Körpersrpache, Gestik, Rhythmus an. Diese gemeinsame Theatersprache musst du mit einem Ensemble finden, dann ist die „Nationalität“ der Stücksprache zweitrangig.

Janina Brankatschk: Und diese gemeinsame Theatersprache ist es, was mit Lutz Gotter so hervorragend klappt und weshalb ich überhaupt keine Bedenken habe, ihm als Deutschen diese Inszenierung anzuvertrauen. Ich habe als Schauspielerin mit ihm bei „Londn - L.Ä. - Lübbenau“ in Deutsch und Niedersorbisch, außerdem bei „Casanova auf Schloss Dux“ zusammen gearbeitet und weiß daher, wovon ich rede.

Bei der „wundersamen Schustersfrau“ spielen neben den sorbischen auch einige deutsche Schauspieler: René Wolf, Heike Ostendorp, Gabriele Rothmann und Sybille Schäfer. Wie erleben Sie das Verhältnis zwischen den beiden Nationalitäten im Ensemble und konkret bei der Arbeit?

Lutz Gotter: Die Frage stellt sich hier eigentlich gar nicht, und das ist ja auch das Einzigartige und tolle an diesem Haus: Es gibt kein deutsches oder sorbisches Ghetto, keine Provinzialität von „wir“ und „die“ – es gibt einen Ensemblegeist, der sich künstlerisch und nicht nach „Nationalität“ definiert. Für die deutschen Kollegen ist es in aller Regel eine Selbstverständlichkeit, bei sorbischen Inszenierungen mitzuwirken, und die sorbischen Kollegen sind ja sowieso zweisprachig. Was oder wer an diesem Haus also „genau“ sorbisch oder deutsch ist, kann man - zum Glück - gar nicht auseinander dividieren. Ich finde gelegentlich von Außen an das Haus herangetragene Diskussionen über eine „bessere“ Abgrenzung der beiden Kulturen in den Bautzener Kulturinstitutionen absolut kontraproduktiv und in einer Landschaft, die durch gegenseitige Beeinflussung und Bereicherung von Kulturen gesprägt ist, auch irgendwie lächerlich. Und als „herumziehender“ Regisseur, der schon an vielen Häusern gearbeitet hat, kann ich nur sagen: Aus dieser bikulturellen Offenheit heraus haben sich hier Talente entwickelt, die zu meinen absoluten Lieblingsschauspielern gehören und die jederzeit an einem großen Theater engagiert werden könnten.

Sprechen Sie Sorbisch?

Lutz Gotter: Nicht wirklich, aber ich verstehe natürlich inzwischen dies und das. Ich konnte einmal recht gut Russisch und habe es - im Gegensatz zu vielen meiner Landsleute - auch wirklich als Sprache geliebt. Auch Polnisch oder Tschechisch finde ich wunderschön klingende Sprachen. Insofern sind Zuneigung zum slawischen Sprachraum und eine Grund-Vertrautheit auf jeden Fall da. Ich bedauere es zutiefst, dass die kulturelle Öffnung Deutschlands gen Osten weit hinter der politischen, wirtschaftlichen oder auch militärischen zurückgeblieben ist.

Sie kennen das sorbische Theaterpublikum mittlerweile recht gut. Inszenieren Sie für dieses Publikum anders als für ein deutsches?

Lutz Gotter: Das ist ähnlich wie beim Ensemble: Ich inszeniere hier in Bautzen für ein Oberlausitzer Publikum, das meist in beide Richtungen kulturell geprägt ist. Mich begeistert, dass man im Bautzener Ensemble überhaupt einen Draht zum Publikum hat, der vielen, vielen Künstlern und Häusern in diesem Land vollkommen abgeht. Da nimmt man es fast schon als Zumutung auf, seine künstlerische Selbstverwirklichung irgendwie durch die „Ansprüche“ des Publikums „herabmindern“ zu lassen. Hier in Bautzen dagegen kann man Volkstheater im besten Sinne machen: Nicht wie ein Grundschullehrer dem Publikum alles vorkauen, sondern Theatertexte - und zwar durchaus auch so anspruchsvolle, wie es bei der „Schustersfrau“ der Fall ist - in einer Weise zu präsentieren, dass es dem Publikum Spaß machen kann.

Wie gesagt: Theater ist für mich sehr stark durch Sinnlichkeit, Körperlichkeit geprägt. Die Blütezeiten des Theaters waren die des Volkstheaters. Auch Garcia Lorca hat sich sehr mit seinem Publikum beschäftigt.

Janina Brankatschk: Viele werfen uns diesen Weg vor. Ich denke aber, dass wir uns nie angebiedert haben. Mittlerweile haben wir sogar bei schwierigen Stücken wie dem „Hotel zu den zwei Welten“ nicht selten ausverkaufte Säle.

Kommen wir zur „wundersamen Schustersfrau“. Sie sprachen von einem recht anspruchsvollen Stück...

Lutz Gotter: ...das aber zugleich wunderbar leicht, rasant, witzig, romantisch ist, eine Commedia dell'Arte, wie sie früher auf mediterranen Dorfplätzen gespielt wurde, ein tragikomisches Stück zum Lachen.

Verraten Sie uns einige Details?

Lutz Gotter: Nur so viel: Es geht um die Verteidigung einer individuellen Andersartigkeit, eines gewissen persönlichen Zaubers gegenüber einer homogenen, Gleichheit einfordernden Gemeinschaft. Die Botschaft ist: „Was könnte das Leben nicht für phantastische Dinge bringen, wenn wir mehr Fantasie und Offenheit zulassen würden.“ Lorca sagte einmal, er wolle „die Wahrheit des Lebens von innen heraus“ darstellen. Wie in jedem guten Stück geht es dabei natürlich zunächst um Liebe.

Gespräch: Oliver Tettenborn