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Rauchküchen geben Rätsel auf

Denkmaltag. Rund 50 Gebäude können am 10. September besichtigt werden. Eines davon ist das einstige Wohnhaus Weberstraße 11.

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Von Peter Chemnitz

Grau ist die Fassade. Verwinkelt das Innere. Dunkel sind die Räume. Die Orientierung fällt schwer. Auch die baugeschichtliche. Zig Generationen Görlitzer Bauherren haben das Haus für ihre Zwecke umgebaut. Architekt Hartmut Olbrich ist seit zwei Wochen im Auftrag der Unteren Denkmalschutzbehörde auf Spurensuche. „Die ältesten Teile des Gebäudes sind gotisch“, sagt Olbrich und zeigt zwei farbige Aufrisse. Auf dem einen ist das Erdgeschoss zu sehen, auf dem anderen die Kellerräume: „In der gotischen Phase gab es hier einen massiven Erdgeschosskern mit Fachwerkanbauten.“

Im 15. und 16. Jahrhundert wurde das Haus mehrfach um- und zwei repräsentative Säle eingebaut, deren Reste noch heute zu sehen sind. Seine heutige Gestalt erhielt das dreigeschossige Haus nach dem Stadtbrand von 1726. Damals wurden zwei zuvor giebelständige Gebäude zusammengefasst. „Das Obergeschoss war wohl so massiv geschädigt, dass es komplett neu aufgebaut wurde“, vermutet der Architekt.

Über Treppen zum Wichhaus

Wer in den vergangenen Jahrhunderten das Haus nutzte, liegt noch im Dunkeln der Geschichte verborgen. Das Weighaus könnte sich hier befunden haben. Es wird 1377 und 1393 erwähnt. Um was es sich dabei gehandelt hat, ist unklar: Vielleicht eine städtische Waage unmittelbar an dem den südöstlichen Zustand zur Stadt kontrollierenden kleinen Tor. Dietmar Ridder, Mitarbeiter der Unteren Denkmalschutzbehörde Görlitz, weiß von einem „Wichhaus“, zu welchem man laut historischen Beschreibungen „über Treppen von der Weberstraße aufsteigt“.

Rätsel geben dem Bauforscher auch die auf beiden Etagen spiegelseitig angeordneten Rauchküchen auf. Wie viel Leute haben hier gekocht? Zwei Geschossküchen würden nur Sinn geben, wenn hier beispielsweise Juden gelebt hätten. Um das ihnen vorgeschriebene koschere Essen zuzubereiten, benötigten sie eine getrennte Milch- und Fleischküche. Seinerzeit haben Juden in Görlitz aber noch gar nicht dauerhaft gelebt. Warum wurde also dieser bauliche Aufwand betrieben? Vielleicht können die sogenannten Geschosslisten Aufschluss geben, die seit dem 15. Jahrhundert in Görlitz geführt wurden und sich zum Großteil im Ratsarchiv erhalten haben. „So eine Küchenanlage gibt es in Görlitz kein zweites Mal“, sagt Denkmalschützer Ridder.

Auch wenn das als Wohn- und Geschäftshaus bis ins 20. Jahrhundert häufig verändert wurde, haben sich im Inneren barocke Strukturen im großen Umfang erhalten. Die einstige Großzügigkeit des Gebäudes lässt sich erahnen, wenn man sich die Zwischenwände wegdenkt. Ohne sie könnten die einst jeweils 54 Quadratmeter großen Säle neu entstehen, die 1936 in Kleinwohnungen unterteilt wurden. „Über die Jahrhunderte hat sich langsam die heutige Struktur des Hauses herausgebildet“, sagt Olbrich.

Eisenspangen halten das Haus

Immer wieder umgebaut wurde auch das Erdgeschoss. Turnusmäßig alle 20 Jahre wurden hier die Schaufenster verändert und den neuen Gegebenheiten angepasst. Ihr jetziges Äußeres haben sie in den 20/30er Jahren erhalten. Seit Farben-Franke ausgezogen ist, steht das Erdgeschoss wie das gesamte Haus leer. Die jahrelange Vernachlässigung hat zu schweren Schäden geführt. Bereits Mitte der 50er Jahre drohte die Fassade abzukippen. Seit dem sichern vorgesetzte Eisenspangen das Gebäude. Zurzeit droht der aus dem 18. Jahrhundert stammende Dachstuhl einzufallen und ein Teil der Zwischendecken ist durchgefault.

Für die neuen Besitzer bedeutet das, schnell handeln zu müssen. Wie einst soll das markante Eckgebäude ein Wohn- und Geschäftshaus werden. „Spannend wird, wie großzügig sie herangehen und wie viel Wohnungen sie pro Geschoss planen“, sagt Olbrich. Vier wären das Optimale. Auf jeden Fall gehöre das Eckhaus Weber/Jakob-Böhme-Straße zu den wenigen großen, wertvollen Bürgerhäusern, die außerhalb der üblichen Handelsstraßen und Märkte lagen. Und dann greift Olbrich wieder zur Taschenlampe und lässt sie über die Wände gleiten: „Hier sind noch zahlreiche Befunde aus dem Mittelalter zu erwarten.“

Am Sonntag kann das Haus von 10 bis 18 Uhr besichtigt werden. Führungen finden 11 und 14 Uhr statt.