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Wie Reichsbürger in der Corona-Krise ticken

Der deutsche Staat in seiner jetzigen Form geht der Szene gegen den Strich. Die Beschneidung der Bürgerrechte könnte die Gegenwehr noch anheizen.

Von Frank-Uwe Michel
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Wie hier ein mit Mundschutz in den Farben der Reichskriegsflagge und dem Bundesadler ausgestatteter Teilnehmer auf einer Kundgebung in Chemnitz, kommen im Landkreis Görlitz Reichsbürger ebenso mit dem Gesetz in Konflikt. Auch in Corona-Zeiten.
Wie hier ein mit Mundschutz in den Farben der Reichskriegsflagge und dem Bundesadler ausgestatteter Teilnehmer auf einer Kundgebung in Chemnitz, kommen im Landkreis Görlitz Reichsbürger ebenso mit dem Gesetz in Konflikt. Auch in Corona-Zeiten. © dpa-Zentralbild

Die vom Staat verhängten Einschränkungen sind einschneidend. Schon seit Wochen bestimmt das Corona-Virus das Handeln der Regierenden in Deutschland. Doch sind die überhaupt legitimiert dafür? Mit anderen Worten: Dürfen die das? Geht es nach den Reichsbürgern, dann sicher nicht. Denn die Szene bezweifelt, dass die Bundesrepublik ein rechtmäßiger Staat ist. Geht von ihnen deshalb jetzt eine Protestwelle aus? Was tun sie im Landkreis? Die SZ gibt Antworten darauf.

Wie ist die Reichsbürger-Szene im Kreis aufgestellt?

Es gibt zwar Reichsbürger im Landkreis, doch die Szene ist nicht besonders stark. Laut Falk Werner Orgus, dem Leiter des Ordnungs- und Straßenverkehrsamtes der Kreisverwaltung, sind es eher "einzelne Leute, die über keine verfestigten Strukturen verfügen." Das Gebiet zwischen Weißwasser und Zittau sei kein Hotspot der Reichsbürger-Bewegung.

Aktivitäten würden nur vereinzelt festgestellt - anders als in anderen Regionen, wo Reichsbürger versuchen, ganze Straßenzüge oder gar Dörfer zu kontrollieren. Diese Einschätzung bestätigt auch Christopher Gerhardi, Sprecher der Görlitzer Staatsanwaltschaft: "Konkrete Erkenntnisse darüber, wo in Ostsachsen besonders viele Reichsbürger anzutreffen sind, liegen uns nicht vor."

Wie beurteilt der sächsische Verfassungsschutz die Lage?

Der Verfassungsschutz hat die Situation im Blick. So ist der Behörde auch der jüngste Fall aus Horka bekannt, wo in einem Grundstück die Reichskriegsflagge des Deutschen Reiches von 1933 bis 1935 weht. Dies sei der Behörde am 21. April mitgeteilt worden, erklärt Patricia Vernhold, Pressereferentin im sächsischen Innenministerium. Die Fahne sei jedoch "kein explizites Zeichen der Reichsbürger-Szene."

Die Fahne, die im Kodersdorfer Ortsteil Bergschäferei hingegen angebracht ist, sei eine Fantasieflagge in den Farben Schwarz, Weiß, Rot - in der Mitte ein Adler mit eisernem Kreuz im Kranz. "Das Landesamt für Verfassungsschutz ordnet im Landkreis Görlitz derzeit etwa 75 Personen der extremistischen Bestrebung 'Reichsbürger und Selbstverwalter' zu", sagt die Referentin. Damit liege der Kreis im sächsischen Mittelfeld.

Gibt es in der Krise verstärkte Reichsbürger-Aktivitäten?

Im Landkreis Görlitz ist dies offenbar nicht der Fall. "Die Szene verhält sich aktuell recht ruhig", berichtet Falk Werner Orgus. Es gebe "fast keine Aufrufe, wegen der Grundrechtseinschränkungen durch die Corona-Krise aufzubegehren", sagt der Ordnungsamtsleiter in der Kreisverwaltung. Jedenfalls nichts, was öffentlich relevant sei. Dagegen erklärt Patricia Vernhold, Reichsbürger und Selbstverwalter würden die Corona-Krise "zur Verbreitung von Verschwörungstheorien und zur Kritik am staatlichen Krisenmanagement" nutzen. Konkrete Beispiele aus dem Landkreis Görlitz nennt sie aber nicht.

Wodurch fallen Reichsbürger aktuell besonders auf?

Laut sächsischem Verfassungsschutz fokussiert sich die Reichsbürger-Szene auch in der Corona-Krise weiter auf die Auseinandersetzung mit Behörden, hauptsächlich durch Vielschreiberei. "Die besondere Gefährdung besteht darin, dass sich Situationen im Einzelfall schnell aufschaukeln und in einer Gewaltspirale münden können", erklärt die Sprecherin des Innenministeriums. Das bestätigt auch Falk Werner Orgus aus dem Landratsamt: "Etwa einmal im Vierteljahr bekommen wir ellenlange Abhandlungen mit Info-Material, die das gesamte Faxsystem lahmlegen. Das leiten wir dann an den Staatsschutz weiter."

Was hat das Verfassungs-Referendum zu bedeuten?

Vor ein paar Tagen wurde im Landkreis, darunter in Zittau, ein Aufruf zum "Referendum für die Verfassung von Deutschland" in die Briefkästen gesteckt. Darin geht es um die Ablösung des Grundgesetzes durch eine "von dem deutschen Volke in freier Entscheidung" beschlossene Verfassung. Eine Forderung, die der Reichsbürger-Szene naheliegt.

Für Falk Werner Orgus grenzt der Inhalt des beidseitig bedruckten A4-Blattes jedoch eher an Satire, als dass es ernst gemeint sein könne. Vom Verfassungsschutz wird derzeit eine strafrechtliche Relevanz geprüft. Laut Patricia Vernhold entspricht das Schreiben den bekannten Verlautbarungen der sogenannten verfassungsgebenden Versammlung, die ihren Sitz in Nordrhein-Westfalen hat. Staatsanwalt Christopher Gerhardi erkennt in dem Inhalt des Papiers "keine strafrechtliche Relevanz".

Wie stark wird gegen Reichsbürger ermittelt?

Im vergangenen Jahr registrierte der Verfassungsschutz in Sachsen 145 von Reichsbürgern verübte Straftaten. Damit setzt sich der rückläufige Trend der vergangenen Jahre fort. 2015 wurden der Reichsbürger-Szene noch mehr als das Doppelte, genau 322 Straftaten, zugeordnet. Nach Angaben von Patricia Vernhold handelte es sich 2019 hauptsächlich um Nötigung (33), Verkehrsdelikte (17) und Beleidigung (15).

Das Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen tauchte lediglich zehn Mal in der Statistik auf. Rund 46 Prozent aller Fälle seien politisch motivierte Straftaten gewesen, so die Ministeriumssprecherin. Den Rückgang von Ermittlungsverfahren im Zusammenhang mit Reichsbürgern bestätigt auch Christopher Gerhardi. Sie hätten in letzter Zeit sowohl nach Anzahl als auch Brisanz merklich nachgelassen. Im Moment gingen monatlich nur etwa zehn Verfahren aus diesem Bereich bei der Staatsanwaltschaft Görlitz ein.

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