Verdammter Reifen. Alles Ausschuss. Keine Qualität heutzutage“, schimpft ein schnieker Herr in Anzug und Krawatte. Einziger Makel: Sein teures Fahrrad hat einen Platten, und er verstellt mir meinen Weg. Die Kutsche mit Haflinger Bert vorneweg kann nicht weiter. Mein Gaul wiehert, und ich schüttele das Glöckchen, das bimmelt ungeduldig, weil es ja auch weiter will. „Mensch, schaffen‘se doch endlich mal Ihren Drahtesel zur Seite. Hier ist kein Parkplatz für Zweirädrige“, rufe ich ungeduldig vom Kutschbock herab. Der feine Herr schaut mich entsetzt an. „Ich bitte Sie vielmals um Entschuldigung. Bei meinem Fahrrad ist der Gummibelag nicht mehr einsatzfähig“, erklärt er mir in dem höchsten sprachlichen Ausdruck.
Ich runzele mit den Augenbrauen. Lackaffe. Aber wie er so dasteht, den Krawattenknoten schon etwas gelöst, den Aktenkoffer schief auf dem Gepäckträger liegend, die Luftpumpe in der säuberlich manikürten Hand, tut er mir Leid. „Wo wolln‘se denn eigentlich hin, werter Herr“, frage ich höflich. Mein Gegenüber schaut mich irritiert an. Dann druckst er: „Auf die andere Elbseite gedenke ich zu radeln.“
Eigentlich ist diese für mich passé und ein weißer Fleck in meinem Routenplaner. Aber was soll‘s. Jeder Fahrgast ist König. „Na los, steigen Sie schon auf! Der Drahtesel kommt auch mit.“ Zehn Minuten später zuckeln wir auf der Elbbrücke entlang, und der feine Herr erzählt mir den Grund des Platten. „Eigentlich bin ich immer mit dem Auto unterwegs. Aber heute Morgen habe ich mir doch vorgenommen, wenigstens jeden zweiten Tag mit dem Rad zur Arbeit zu fahren, um meiner Bequemlichkeit endlich mal ein Schnippchen zu schlagen. Die Strecke entlang der Elbe soll ja eine schöne Strecke sein. Aber nun...“, erzählt mein schnieker Fahrgast. Er schüttelt mit dem Kopf. Immer und immer wieder, so als könne er nicht glauben, das, was er dort gesehen hat. „Der Weg ist eine einzige Berg- und-Tal-Bahn. Da und dort sind Löcher. An einigen Stellen bricht das Pflaster heraus. Kein Wunder, dass da mein Fahrrad den Geist aufgegeben hat. Auch wenn der Reifen bis zur Arbeit hielt. Den Hals hätte ich mir brechen können“, erzählt der Herr, während er sich den edlen Schlips abbindet. „Wo arbeiten Sie“, frage ich neugierig kurz vor dem Ziel. „Im Innendienst einer großen Versicherung“, antwortet der Herr. „Haben Sie denn nicht irgendeinen Fall mit einem kaputten Fahrrad, mit dem Sie bei höherer politischer Ebene anklopfen können, um diesen, wie sagten Sie, Elberadweg endlich wieder klar Kutsche zu bekommen?“ flüstere ich. Der feine Herr schaut mich überrascht an. „Was nicht ist, kann noch werden“, schmunzelt er plötzlich und drückt mir einen höherklassigen Geldschein in die Hand. (cm)