Von Matthias Weigel
Pirna/Sebnitz. Vollsperrung. Auf der Poisentalstraße in Freital wird gebaut. Ein Rettungswagen mit Blaulicht naht. Schnell räumen die Bauarbeiter Absperrungen und Baumaschinen weg, damit das Auto irgendwie durch die Hauptverkehrsstraße kann. Solange es der Baufortschritt zulässt, geht das. Verzögerung bringt es dennoch. Weniger aber als eine zeitraubende Umleitung.
Diese oder ähnliche Situationen sind in der Region alltäglich. Statistisch gesehen kommt im Landkreis Sächsische Schweiz-Osterzgebirge jeder fünfte Rettungswagen zu spät zum Einsatz. Wie aus einem Papier des Landratsamtes hervorgeht, wurde die Rettungsfrist im ersten Halbjahr 2015 in lediglich 80 Prozent der Fälle eingehalten. In früheren Jahren lag der Wert noch bei um die 90 Prozent. Die planerische Vorgabe des Freistaats, in mindestens 95 Prozent der Fälle binnen zehn Minuten vor Ort zu sein, wird damit um einiges verfehlt. Müssen sich die Menschen im Landkreis nun Sorgen machen, dass der Notarzt immer öfter zu spät kommt? Immerhin gilt die sogenannte Hilfsfrist als Indikator für die Qualität der Notfallversorgung.
Ein Blick hinter die Statistik offenbart schnell ein entscheidendes Problem: Die Werte können derzeit überhaupt nicht exakt bestimmt werden. Seit 2013/14 läuft das Notrufsystem über die neue Großleitstelle in Dresden – und damit auch die Erfassung der Fristen. Doch das System läuft nicht rund, sei mit Fehlern behaftet, heißt es. Die Software „verfügt über kein geeignetes „Statistik- und/oder Analysewerkzeug“. Die nachträglich damit beauftragten Firmen konnten bisher keine vertretbare Lösung vorlegen, heißt es. Das erklärt, warum die Werte 2014 mit einem Sprung signifikant schlechter geworden waren. Wenigstens könne man feststellen, dass sich die Einhaltung der Hilfsfrist seither nicht verschlechtert hat, wenn man die fehlerbehafteten Werte des Analyseprogramms vergleicht. Zumal in der Zeit die Einsatzzahlen stiegen, heißt es.
Die mangelhafte Statistik kann dennoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass im hiesigen, flächenmäßig sehr großen Landkreis die Fristen nicht ganz eingehalten werden. Schon allein die Planung geht nur von 92 Prozent aus. Und die Fahrzeuge der Rettungsdienste – im Kreis sind das DRK, ASB und Johanniter – sind mit Geräten ausgerüstet, die bei Überschreitung der Fahrzeit eine Eingabe des Fahrers zu den Gründen erwarten. Die Auswertung zeigt: Vor allem zu wenige verfügbare Rettungswagen führen zu Verspätungen. Bei 75 Prozent aller Fristüberschreitungen ist das die Ursache, etwas mehr als 2014. Häufig der Fall sind zum Beispiel gleichzeitig mehrere Einsätze für einen Bereich, wo Wagen aus anderen Regionen einspringen müssen. Außerdem sind nicht alle Bereiche ständig besetzt. Auf hohes Verkehrsaufkommen, Wetterunbilden, Baustellen, Sperrungen und Adressfehler waren 18 Prozent der Verspätungen im 1. Halbjahr 2015 zurückzuführen, etwas weniger als 2014.
Drei Wachen bekommen neuen Rettungswagen
Eyk Klügel, Chef vom DRK-Rettungsdienst in Freital, betont aber, dass dies Durchschnittswerte für das gesamte Gebiet des Landkreises sind. „Es gibt im Einzelnen Wagen und Regionen, wo es mal schneller klappt, und wo nicht“, sagt er. Außerdem änderten sich Baustellen ständig, und auch das Wetter sei nicht planbar. „Alle dürfen davon ausgehen, dass wir immer versuchen, so schnell wie möglich vor Ort zu sein“, sagt Klügel. Die Anforderungen an die Rettungswache würden erfüllt.
Steffen Braun, Referatsleiter Rettungswesen, verweist angesichts der Fakten auf Änderungen, die bereits beschlossen sind und Mitte 2016 in Kraft treten. Die Rettungswachen in Freital, Stolpen und Pirna bekommen demnach einen zusätzlichen Rettungswagen. Zudem werden die Betriebszeiten für die Rettungswagen im Landkreis um 15 Prozent aufgestockt. Hinter alledem verbirgt sich natürlich auch jede Menge Personal. Braun rechnet für den Landkreis mit Mehrkosten von über 1,3 Millionen Euro. Schon 2010 war der Bereichsplan erheblich mit Wagen und Zeiten aufgestockt worden – was mit drei Millionen Euro mehr zu Buche geschlagen hatte.
Das war immerhin schon ein Drittel vom Gesamtbudget obendrauf. Die Maßnahmen kommen nicht von ungefähr. Die Einhaltung der Hilfsfristen wird von der Landesdirektion überwacht, Ursachen für Überschreitungen analysiert. Behördensprecher Ingolf Ulrich räumt aber ein, dass die fehlenden belastbaren Daten aus der Leitstelle die Kontrolle der Fristen und die Durchsetzung von Maßnahmen enorm behinderten. Man sei jedoch dran, das Softwareproblem zu lösen.
Auch im Landkreis hofft man bald wieder auf verlässlichere Daten. Immerhin kosten die Maßnahmen viel Geld – und stehen im Spannungsfeld zwischen gesetzlicher Vorgabe, Wirtschaftlichkeit und Rechtfertigung gegenüber den Krankenkassen. Und für die Menschen im Landkreis sind sie letztlich der Qualitätsnachweis dafür, dass sie sich um das pünktliche Eintreffen des Rettungsdienstes in der Regel keine Sorgen zu machen brauchen.