Von Miriam Schönbach
Ritter Dutschmann thront siegessicher auf dem Brunnen des Bautzener Hauptmarktes. Eckhard Laschewski lächelt dem Edelmann aus Sandstein zu. Der Sage nach soll dieser ein wahrer Prahlhans gewesen sein. „Aber Angeberei war auch im Mittelalter keine Straftat“, sagt der Jurist. Seit dem vergangenen Jahr geht er als Stadtführer auf Spurensuche durch Bautzen. Doch nicht die Schönheit der alten Mauern steht für ihn an erster Stelle. Eckhard Laschewski zeigt seinen Gästen die kriminelle Seite der Stadt. Und da gibt es einiges, wovon er berichten kann: Ehebrecherei, Mord und Totschlag ...



Der 50-Jährige schreitet vom Brunnen zur Mitte des Platzes. Auf dem Kopfsteinpflaster vor dem Rathaus bleibt er stehen und deutet nach unten. In eines der Vierecke wurde ein Kreuz geschlagen. „Der Hauptmarkt war einst der zentrale Platz der Stadt, hier befanden sich der Pranger, der Schandpfahl und an dieser Stelle der Galgen. Schließlich war der Vollzug der Strafe in früheren Zeiten immer auch ein öffentliches Ereignis“, berichtet der Stadtführer. Dafür wurde sogar regelrecht Reklame gemacht: Damit auch ja niemand die nächste Hinrichtung verpasst, ließen die Stadtväter schon Tage vorher eine Strohpuppe am Galgen aufknüpfen.
Den Falschen erschlagen
Doch auch die Ratsherren verloren zuweilen den Kopf. So ließ König Wenzel im Jahr 1408 13 Bautzener auf dem Hauptmarkt mit dem Schwert hinrichten. Er selbst sah dem blutigen Schauspiel aus einem Fenster der Ratsstube zu.
Am Tag der Hinrichtung riefen früher die Türmer mit ihren Hörnern das Publikum. An diesem Nachmittag pfeift nur der Wind um die Ecken. Der Wahl-Oberlausitzer mit württembergischen Wurzeln lässt die Hinrichtungsstätte hinter sich und schlüpft durch die schmale Gasse zwischen Rathaus und Tourist-Information zum Dom St. Petri. Dort, wo heute Autos parken, befand sich bis 1523 der Friedhof.
Doch nicht nur die Toten fanden dort die letzte Ruhe. Eckhard Laschewski deutet erneut auf ein Kreuz im Pflaster. Im Schatten der heutigen katholischen Seite der Kirche spielte sich anno 1425 eine Tragödie ab. Während der Bürger Faultasch – oder Faulbusch – an einem Kreuz kniend sein Abendgebet verrichtete, schlug sein ärgster Feind mit den Namen Caspar Paul ihn rücklings nieder. Danach drehte der Mörder den Gemeuchelten um und stellte fest, dass er den falschen niedergestreckt hatte. Der Attentäter wurde gestellt und nach Sitte der Zeit am Ort der Tat enthauptet. Ebenso erging es einem Schmiedegesellen wenige Schritte entfernt. Er hatte einen Sensenschmied mit dem Hammer erschlagen.
Eckhard Laschewski lässt die blutige Ecke hinter sich. Der Strafrichter am Kamenzer Amtsgericht interessiert sich schon immer für die Vergangenheit. In der Schulzeit möchte der begeisterte Leichtathlet sogar Lehrer für Geschichte und Sport werden. Doch dann entscheidet er sich für das Jurastudium in Koblenz und Heidelberg. Vor 20 Jahren kommt er schließlich nach Bautzen. Zuerst arbeitet er am Landgericht, später bei der Staatsanwaltschaft und seit 2000 in Kamenz.
Vor drei Jahren beteiligt sich der Richter am Stadtführer-Kurs der Volkshochschule. Nach bestandener Prüfung bietet er neben seinen kriminellen Touren auch normale Stadtführungen an. Außerdem zählt er als „Advokat“ zum Bautzener Stadtvolk, das im historischen Gewand zu Streifzügen durch die Stadt einlädt.
Schande oder Tod
Plaudernd kommt der Jurist am Wendischen Turm an. Trutzig ragt das Bauwerk aus Granit in den Himmel. Kein Fenster, keine Tür ist zu sehen. „Das war Bautzens Schuldnergefängnis. An einem Seil wurden die Säumigen nach unten gelassen, tagsüber aber mussten sie ihre Schulden abarbeiten.“ – Ironie der Geschichte: Direkt neben dem früheren Schuldnerturm befindet sich heute das Bautzener Finanzamt. Doch Eckhard Laschewski verkneift sich den naheliegenden Seitenhieb. Lieber geht er weiter zum Reichenturm. Heute ist der ein beliebter Aussichtspunkt. Früher wurden hinter den dicken Mauern kriminelle Frauen eingesperrt, Schwerstverbrecher kamen hingegen in den Lauenturm – allerdings nur bis zu ihrem Prozess.
„Denn Freiheitsstrafen wie heute gab es im Mittelalter nicht“, erläutert der Jurist. Bestrafungen waren entweder sehr grausam oder sie richteten sich gegen die Ehre der Person. Zänkische Frauen bekamen zum Beispiel eine Schandflasche umgehängt und mussten damit durch die Stadt laufen. Die Todesstrafe stand hingegen auf Ehebruch und Mord. Auch Hexerei und Raub bezahlten die Angeklagten mit dem Leben. Im besten Fall kam bei der Hinrichtung das Schwert zum Einsatz. Doch etliche Bautzener wurden auch durch Verbrennen, Pfählen, Hängen, Ertränken und Rädern umgebracht. Oder die Angeklagten wurden aus Stadt und Land verwiesen, was die Menschen damals als noch schlimmer empfanden als den Tod. „Die Ausgestoßenen waren vogelfrei und ohne Schutz“, berichtet der Geschichtenfinder.
Zurück auf dem Hauptmarkt lächelt Ritter Dutschmann mild im Regen. Was soll er sonst auch auf seinem Denkmal tun? Die Bürger der Stadt Bautzen setzten es ihm, weil er erst mit seinen Reitkünsten angab und dann mit einem gewaltigen Satz über den Brunnen flog. Daraufhin verschwand er spurlos. So erzählt es die Sage.
Ob sie stimmt? Oder ist der Prahlhans am Ende einer Straftat zum Opfer gefallen? Vielleicht stößt Eckhard Laschweski ja eines Tage auf die wahre Geschichte des Edelmanns und trägt sie bei seinen Führungen durch Bautzen weiter.
Nächste kriminelle Stadtführung: Karfreitag, 18. April, um 15 Uhr. Treff ist der Brunnen am Hauptmarkt, Tickets gibt es in der Tourist-Info unter 03591 42016.