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"Riesa hat schon Schlimmeres überstanden"

Der Riesaer Arzt Dr. Dieter Frank hat für die massiven Corona-Beschränkungen kein Verständnis.

Von Christoph Scharf
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Dr. Dieter Frank war ein Berufsleben lang in Riesa als Arzt tätig, selbst heute hilft er noch aus. Die derzeitigen Corona-Verordnungen kann er allerdings nicht nachvollziehen.
Dr. Dieter Frank war ein Berufsleben lang in Riesa als Arzt tätig, selbst heute hilft er noch aus. Die derzeitigen Corona-Verordnungen kann er allerdings nicht nachvollziehen. © Lutz Weidler

Riesa. Dr. Dieter Frank dürfte zu den bekanntesten Riesaern überhaupt gehören: Jahrzehntelang war er Arzt im Stahlwerk, betreute die Sportler der BSG Stahl und hilft noch heute - als 81-Jähriger - einmal die Woche in der Praxis seiner Tochter aus.

Herr Dr. Frank, das Thema Corona-Maßnahmen macht Ihnen zu schaffen. Warum?

Riesa hat schon viel Schlimmeres überstanden: Mein Vater war der erste Arzt, der am 8. Mai 1945 nach Riesa zurückkam, um die Arbeit im Krankenhaus nach Kriegsende wieder aufzunehmen. Damals war Riesa von Tausenden Flüchtlingen überfüllt, weil der Ort durch das Bahnkreuz eine wichtige Drehscheibe für Transporte war. Zusätzlich strandeten Waggons mit befreiten, aber erkrankten Häftlingen aus dem KZ Bergen-Belsen in unserer Stadt. Und unter diesen von Hunger geschwächten Menschen brach eine Flecktyphus-Epidemie aus. 

Wie geht so etwas vor sich?

Die Krankheit, auch Kriegspest genannt, verursacht sehr hohes Fieber. Und sie geht an die Substanz - vor allem, wenn die Menschen schon durch Hunger und elende Unterbringung geschwächt sind. Und es gab noch andere Krankheiten.

Welche?

In Riesa gingen damals neben Flecktyphus auch noch Paratyphus und Diphterie um - die Stadt war ein richtiger Seuchen-Hotspot. Noch heute gibt es auf dem Friedhof ein Massengrab aus jener Zeit. Mein Vater war damals an der Behandlung der Epidemiekranken beteiligt.

Und Sie?

Ich war damals sechs Jahre alt - und wurde trotz der Seuchen und des Hungers im September 1945 in die Pestalozzi-Schule eingeschult, die zuvor noch als Lazarett genutzt worden war. Und ich kann mich genau erinnern: Trotz der Epidemie lief das Riesaer Kino, die Friseure arbeiteten, die Gaststätten waren offen.

Da sind sie doch als Kind nicht eingekehrt ...

Ja. Aber bei uns im Haus am Lutherplatz wohnte der Bierkutscher, der mit der Kutsche das Bier aus der Riesaer Brauerei in die Gaststätten brachte. Das gesellschaftliche Leben war aktiv - anders als heute. Und die Kirchen waren zu jedem Gottesdienst voll. Die Leute brauchten doch Zuspruch, Gnade, Hilfe. Es heißt ja nicht umsonst: Die Not lehrt beten! Da war gar nicht dran zu denken, Gottesdienste zu verbieten.

Und wie war es in der Schule?

Dort waren wir bis zu 40 Schüler in einer Klasse! Viele Flüchtlinge waren darunter, die teils ein, zwei Jahre älter waren und wegen der Kriegseinwirkungen noch keine Schule hatten besuchen können. Und es gab wenig Lehrer, teils weil sie als Nazis nicht mehr unterrichten durften, teils weil sie im Krieg geblieben waren. Und dennoch ist bei der Flecktyphus-Epidemie von uns Schülern keiner zu Schaden gekommen. Wie dagegen heute das gesellschaftliche Leben zum Stillstand gebracht wird, halte ich nicht für vertretbar.

Warum denn?

Das kulturelle gesellschaftliche Leben auf Null zu fahren, wird im Nachhinein negative Folgen haben, die noch gar nicht absehbar sind. Erfahrene Mediziner schlussfolgern: Die Schäden einer Therapie dürfen nicht größer sein als die Schäden der Krankheit!

Was für Folgen meinen Sie denn?

Die wirtschaftlichen Folgen etwa in der Gastronomie, dem Tourismus oder dem produzierendem Mittelstand zeichnen sich jetzt schon ab. Zumal sich gerade hier im Osten viele Geschäfte nicht im Eigentum der Betreiber befinden, sondern eingemietet sind - also die Miete erwirtschaften müssen. Manch Gastronomiebetreiber musste Kredite aufnehmen, um eine Sanierung zu finanzieren - und hat jetzt wochenlang zu. Das wird den Leuten viele schlaflose Nächte bescheren. Auch Familien sind betroffen, die sich auf Kredit Eigenheime gebaut haben. Und jetzt führen sogar große Firmen wie Wacker Kurzarbeit ein. Die finanziellen Sorgen haben auch Folgen für die Gesundheit.

Inwiefern?

In den 90ern habe ich viele Leute betreut, die an Krebs erkrankten. Das waren oft Menschen, die mit der Wende ihre Arbeit und ihre gesellschaftliche Stellung verloren hatten. Es ist bekannt, dass sich psychische Belastungen in vielfältiger Weise negativ auf die Widerstandsfähigkeit des Menschen auswirken. Das wird jetzt in der Corona-Zeit nicht anders sein.

Aber ist es denn nicht aus medizinischen Gründen zweckmäßig, bei einer Epidemie auf soziale Distanz zu achten?

Nun - selbst die Virologen wissen derzeit offenbar noch nicht sehr viel über das neue Covid-19-Virus. Man tappt im Dunkeln und fährt aus Vorsicht massive Maßnahmen auf. Dabei erleben wir etwa aller drei Jahre eine Epidemie von Influenza, wo die Wartezimmer der Arztpraxen voll sind. Das Gegenteil erfahren die niedergelassenen Ärzte momentan. Und so wie sich das Influenzavirus jedes Jahr ein bisschen verändert, so dass der angewendete Impfstoff weniger Wirkung zeigt, kann sich möglicherweise auch der "Bauplan" des Coronavirus im Laufe der Zeit modulieren. In Deutschland werden wahrscheinlich im März/April 2020 nicht mehr Menschen gestorben sein, als in früheren Jahren zu gleicher Zeit.

Aber es gibt doch Tote, die positiv auf Corona getestet wurden ...

Ja. Aber sind sie auch an Corona gestorben? Mit über 80 muss man damit rechnen, dass Gevatter Hein mal an die Tür klopft. Das Werden und Vergehen unseres Daseins ist Natur bedingt. Mit einer Epidemie oder auch Pandemie, die seit Menschen Gedenken auftreten, müssen wir umzugehen lernen. Jetzt jeden Tag panisch mit den Zahlen zu hantieren, ist doch Angstmache. Ob das Schließen der Schulen und Geschäfte das Virus aus dem Land vertreibt, bezweifle ich.

Mit offenen Schulen und Geschäften hätte sich das Virus viel schneller verbreitet ...

Da offensichtlich die meisten Menschen, vor allem jüngere, durch den Kontakt mit dem Coronavirus keine Krankheitssymptom aufweisen, scheint eine ständige minimale Kontaktnahme zwischen Gleichaltrigen nicht das Problem zu sein. Das individuelle biologische Abwehrsystem würde quasi trainiert. Im Übrigen hilft es natürlich, bekannte Hygienevorschriften einzuhalten: "Nach dem Klo und vor dem Essen - Händewaschen nicht vergessen" oder "Huste und niese nicht Deinem Nachbarn ins Gesicht" - diese Sprüche habe ich schon vor 70 Jahren in der Schule gelernt. Heute werden sie einem als neue Wissenschaft verkauft. Und dann gibt es noch einige fragwürdige Regelungen.

Was meinen Sie damit?

Dass es beispielsweise wochenlang keine Gottesdienste geben durfte, obwohl die Kirchen doch heute nicht mehr voll sind und ein Abstand einzuhalten wäre. Oder dass die Baumärkte in Riesa geschlossen sein mussten, in Elsterwerda aber aufblieben, weil sich die Landesregelungen unterschieden - das ergibt doch keinen Sinn. Oder für die Fußballer von Stahl Riesa mit noch 200 Zuschauern pro Spiel in der Landesliga gelten dieselben Verbote wie für Borussia Dortmund mit 80.000 Besuchern. Aberwitzig.

Aber jetzt gibt es doch Stück für Stück Lockerungen ...

Ja. Aber man droht schon jetzt, dass es damit zu einer "zweiten Welle" an Infektionen kommen wird. Statt über die Medien immer nur zu drohen, sollte man Zuversicht vermitteln! Wenn die derzeitige Seuche vor allem für Alte gefährlich ist, die schon viele Erkrankungen gleichzeitig haben, müssen doch nicht die Jungen unter den Beschränkungen leiden. Es heißt in unserem Grundgesetz: Die Würde des Menschen ist unantastbar. Indem über viele Wochen das Grundrecht auf gesellschaftliche Teilhabe reglementiert wird, ist meine Würde und die sehr vieler Menschen jetzt angetastet!