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Riesaer Pathologe im Dienst der Lebenden

Dr. Steffen Kellermann ist Arzt. Und obwohl er seine Patienten nur in den wenigsten Fällen zu Gesicht bekommt, fällt er tagtäglich die entscheidenden Diagnosen, schlägt lebenswichtige Therapien vor. Dr.

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Von Antje Becker

Dr. Steffen Kellermann ist Arzt. Und obwohl er seine Patienten nur in den wenigsten Fällen zu Gesicht bekommt, fällt er tagtäglich die entscheidenden Diagnosen, schlägt lebenswichtige Therapien vor. Dr. Kellermann ist Pathologe.

Die Gemeinschaftspraxis von Dr. Olaf Holotiuk, Dr. Barbara Zuber und Dr. Steffen Kellermann arbeitet seit 2000 auch für die Krankenhäuser Riesa und Großenhain. Hier werden jährlich 12500 Gewebeproben ausgewertet – von lebenden Patienten. Höchstens zehn Leichen obduzieren die drei teilhabenden Fachärzte im Jahr. Das wird vor allem bei unklarer Todesursache notwendig, sagt Dr. Kellermann.

Er weiß, dass diese Arbeit das Image seines Berufsbildes maßgeblich geprägt hat. In Film und Fernsehen erleben die Pathologen gerade eine Hochzeit. Die Mediziner klären in Tatort und Co. spektakuläre Mordfälle auf und essen auch mal ihre Frühstücksstulle neben der Leiche. Ein Klischee, das Dr. Kellermann ablehnt.

Klischee dominiert Berufsbild

Zumal sich 99Prozent seiner Arbeit mit den Lebenden beschäftigen. Das wissen aber die wenigsten, bedauert der Mediziner. Jedes Gewebe, das ein Arzt bei Patienten entnimmt, landet unter dem Mikroskop des Pathologen. Dazu zählen Biopsien aus dem Magen oder Darm, eine Appendix (Blinddarm), krebsbefallenes Gewebe oder eine Fehlgeburt. In weniger als 24Stunden liegt dann im Normalfall ein schriftlicher Befund, die Diagnose vor. In Extremfällen, zum Beispiel während einer Operation, braucht das Praxisteam nur zehn Minuten.

In der Regel landet das Gewebe zunächst im Zuschneideraum. Hier werden nach einem festgelegten Ablauf Präparate erstellt. Aus einer auf Grund von Krebs abgenommenen Brust beispielsweise werden etwa 30Gewebeproben in bunte Plastekapseln einsortiert, entwässert, in heißem Paraffin getränkt. Diese Wachsblöcke werden in fünf Mikrometer dicke Scheiben geschnitten, das Paraffin entzogen, gefärbt und auf Glasplättchen gelegt.

Ab 7Uhr morgens sitzen Dr. Kellermann und seine Kollegen vor dem Mikroskop, um die Präparate auszuwerten. „Ich weiß genau, wie gesundes Gewebe aussieht und muss die Abweichungen von der Norm erkennen und interpretieren“, sagt der 46-Jährige. Er folgt damit Rudolf Ludwig Karl Virchow, der im 19. Jahrhundert erkannte, dass mit jeder Krankheit eine morphologische Veränderung des Gewebes einhergeht.

Zehntausende Zellstrukturen

Dr. Kellermann hat dementsprechend zehntausende Zellstrukturen im Kopf, erkennt einzelne auch nach Jahren wieder. Er sei ein visueller Typ, sagt der Kunstliebhaber und nennt damit die wichtigste Voraussetzung für den Beruf.

Um Pathologe zu werden, muss aber zunächst ein medizinisches Studium absolviert werden. Allein die entsprechende Facharztausbildung dauert sechs Jahre. Dr. Kellermann hat zwei durchlaufen – ist Facharzt für Pathologie und Neuropathologie. Dazu kommen Weiterbildungen, u.a. um bei neuen Methoden auf dem Stand zu bleiben und moderne Therapien vorschlagen zu können. Der Kontakt mit den Ärzten verschiedener Fachrichtungen ist deshalb im Riesaer Krankenhaus sehr eng. So nehmen die Pathologen regelmäßig an den Tumorboards teil, bei denen aktuelle Krebsfälle diskutiert werden.

Und obwohl der Pathologe im Normalfall nur Gewebestücke untersucht, kann auch Dr. Kellermann nicht immer Distanz wahren: „Wenn man bei einer jungen Frau Krebs in der Brust diagnostiziert, ist das deprimierend.“