Rittergut wird zur Müllhalde

Schirgiswalde-Kirschau. Werner Thomas kennt jeden Winkel des Halbendorfer Rittergutes. Zielsicher schreitet er die Räume im Erdgeschoss ab: "Hier können Sie Einmachgläser in die Regale stellen, hier, das Bad ist fast noch intakt und das ist der alte Räucherofen meines Vater. Sehen Sie, hier, an diesen Holzleisten konnte man die Räucherhaken aufhängen. Und hier steht noch unser alter Stubenofen."
Werner Thomas ist in dem unscheinbaren Gebäude an der B 96 in Halbendorf, einem Ortsteil von Schirgiswalde-Kirschau, aufgewachsen; lebte bis zu seinem 12. Lebensjahr mit seinen Eltern in dem Wohnhaus. Zeitweise gehörte dieses sogar der Familie: "Das Haus wurde meinem Vater im Zuge der Bodenreform übertragen. Als er ein Häuschen im Ort kaufte, musste er das Gebäude zurückgeben." Bis zur Wende, erzählt der Rentner weiter, hätte die LPG Scheune und Stallungen genutzt. Auch die drei Wohnungen seien bis zu diesem Zeitpunkt noch bewohnt gewesen. Nach der Wiedervereinigung schließlich sei das Gebäude an einen privaten Eigentümer verkauft worden.
Seither ist Werner Thomas gezwungen, dem Ort seiner Kindheit beim Verfall zuzuschauen. "Das hier war alles mein Revier", sagt er und macht eine ausladende Handbewegung über den staubigen Platz zwischen Wohn- und Stallgebäude und der langgezogenen Scheune. Wo Thomas einst spielte, finden sich heute allerhand Dreckecken. Ein großer Stapel alter Reifen verschiedenster Größen türmt sich zwischen zwei Scheunentoren. Vor dem Einfang zum Stall überwuchert die Natur alte Farbeimer, Plastestühle, Säcke voll Hausmüll.
"Das war mal eine Klärgrube", sagt Werner Thomas. Es bestünde jederzeit die Gefahr, dass die Grube nachsackt, ist er sich sicher. "Da kann dann schnell mal ein Kind hier verschwinden."

Werner Thomas unterbricht seine Gedanken, als ein dunkelgrüner Pick-Up auf den Hof einbiegt. Die Ladefläche des Autos ist voll mit Grünschnitt. Als er die kleine Menschengruppe sieht, überquert der Fahrer zügig das Anwesen, um es zur anderen Ausfahrt wieder zu verlassen. Wenig später steht das Fahrzeug einige Meter weiter bei der Grüngutannahmestelle in Belmsdorf. "Das kann ja wohl nicht wahr sein", sagt Werner Thomas ob dieses Spektakels und schüttelt verständnislos den Kopf.
Dann führt er weiter zu einem verfallenen Schuppen. "Hier war früher die Laderampe für die Milch", erklärt er und blickt durch die Schuppentür. "Das ist neu", sagt er und deutet auf frischen Unrat. Offenbar hat hier jemand erst vor Kurzem seine alte Bad-Einrichtung entsorgt. Drinnen, im ehemaligen Kuhstall der nächste Ärger: "Diesen Stapel Asbest sehe ich zum ersten Mal. Sauber aufgeschichtet, es ist eine Sauerei", sagt Thomas.
Im Obergeschoss, dort, wo einst seine Großeltern eine kleine Wohnung bewohnten und die Fenster noch intakt sind, vermutet Werner Thomas Obdachlose. Tatsächlich deuten hier ein unordentlicher Schlafplatz und eine Tüte mit Lebensmitteln darauf hin, dass die kahlen Räume bis vor Kurzem als Schlafdomizil dienten. All das zu sehen, schmerzt den Rentner sichtlich.
Keine Absperrungen aber hohe Unfallgefahr
Aber es ist nicht nur der Verfall seines einstigen Elternhauses, der ihm Kummer bereitet. Auch die Sorge vor Unfällen treibt ihn um. Vor einigen Jahren zerstörte ein abgeknickter Baum das Dach des einstigen Kuhstalls. Der Giebel ragt seither nackt in den Himmel. Bereits zwei Menschen wurden tot in dem Gebäude gefunden, erzählt Thomas. Das sei einige Jahre her und niemand wisse bis heute, wie diese Leute zu Tode gekommen seien.
Absperrungen, die den Zugang zu der Ruine versperren könnten, gibt es keine. Das Gebäude ist geradezu eine Einladung für neugierige Entdecker.
Auch Sven Gabriel (FDP), Bürgermeister von Schirgiswalde-Kirschau, ist das Problem bekannt. Aber der Kommune sind die Hände gebunden: "Das Gebäude ist in privater Hand. Der Eigentümer verfügt nicht über eine zustellbare Adresse, reagiert nicht auf unsere Anfragen", beschreibt der Bürgermeister die Situation. "Damit wir handeln können, müsste leider tatsächlich erst etwas passieren." Denn formell, so Gabriel weiter, dürften ja Fremde das Privatgrundstück gar nicht betreten. Erst, wenn tatsächlich der Einsturz droht, könnte die Gemeinde Maßnahmen zur Zwangssicherung ergreifen.
Dennoch, verspricht Gabriel, werde die Gemeinde weiter versuchen, mit dem Eigentümer des Grundstücks ins Gespräch zu kommen. "Wir sind uns alle einig, dass hier was passieren muss", sagt der Bürgermeister bestimmt.
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