Wohin mit Sachsens Stasi-Akten?

Noch ist nichts entschieden. Doch die Wahrscheinlichkeit, dass sächsische Stasi-Akten ausschließlich in Leipzig archiviert werden, ist hoch. Das unlängst präsentierte Konzept des Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen, Roland Jahn, sieht nur noch einen Archivstandort je ostdeutschem Bundesland vor. In Sachsen sind es derzeit noch drei: Leipzig, Chemnitz und Dresden.
Das Interesse an den Akten nimmt zwar ab, ist aber nach wie vor hoch. Seit 2012 hat sich die Zahl der jährlichen Anträge auf Einsicht auf rund 45.000 im vergangenen Jahr annähernd halbiert. Sachsen ist allerdings das Bundesland mit der größten Nachfrage, wie aus dem aktuellen Tätigkeitsbericht von Jahn hervorgeht.
Knapp 11.000 Interessenten stellten im vergangenen Jahr im Freistaat einen Antrag. Der Standort, an dem das größte Interesse herrschte, war Dresden mit mehr als 4.000 Antragstellern.
Das neue Konzept wird der Bundestag voraussichtlich noch in dieser, bis zum Jahr 2021 reichenden Legislaturperiode beschließen. Sachsen, heißt es aus Regierungskreisen, favorisiert Leipzig. Dort sollen die Akten archiviert werden. Wer allerdings in Dresden und Chemnitz erfolgreich einen Antrag stellt, kann die Papiere auch dort lesen. Sie sollen dann zur Nutzung in die dortigen Außenstellen transportiert werden.
Sachsen fühlt sich übergangen
Sachsens Landesbeauftragter Lutz Rathenow hält das Konzept für falsch: „Wenn Leipzig Archivstandort wird, dann wird die bisher in Dresden, Chemnitz und Leipzig praktizierte Bildungsarbeit künftig nur noch dort stattfinden.“ Gerade für die Arbeit mit Schülergruppen sei das ein Verlust für Chemnitz und Dresden. Rathenow befürchtet, dass durch ein zentrales Leipziger Archiv in den beiden Städten „die gemeinsamen Recherchemöglichkeiten an einem Ort zerrissen werden. Bisher sind die dort einerseits im Sächsischen Staatsarchiv, andererseits in der Außenstelle des Bundesbeauftragten möglich. Gerade Mitarbeiter mit Kenntnissen von Ortsbezügen sind außerdem die besseren Rechercheure für die Anträge von Wissenschaftlern.“
Der beim Landtag angegliederte Beauftragte nennt noch einen dritten Punkt, der aus seiner Perspektive der Wahl Leipzigs entgegensteht. „Versteht man den Archivstandort auch als Multiplikator, der die Auseinandersetzung mit dem Thema Stasi und SED-Diktatur in die Gesellschaft hineinträgt, so wäre es wichtig, dort zu agieren, wo es diesbezüglich kein Überangebot, sondern Defizite gibt.“ Auf Sachsen bezogen, betont Rathenow, wäre das vor allem Chemnitz. Er fügt hinzu: „Sicher würde ein Ja für Chemnitz auch die im Aufbau befindlichen Gedenkstätten Frauenzuchthaus Hoheneck und Kaßberggefängnis befördern.“
Vereinfacht formuliert hat Rathenow die Sorge, dass es in Leipzig zu einer Konzentration von Gedenk- und Aufarbeitungsorten kommt, die das Interesse an der kritischen Befassung mit der DDR-Vergangenheit in anderen Städten verringern.
Im ehemaligen Leipziger Stasi-Sitz, der runden Ecke, informiert ein Museum über die Arbeitsweise des Geheimdienstes. Auch die einstige Hinrichtungsstätte in der Südvorstadt soll als Gedenkort ausgebaut werden und für die Öffentlichkeit regelmäßig zugänglich sein. Dazu kommen das Archiv der Bürgerbewegung, die Stiftung Friedliche Revolution sowie der Atomschutzbunker in Machern. Mit dem zeitgeschichtlichen Forum arbeitet bereits eine Bundeseinrichtung in der Stadt. Käme noch ein Archivneubau dazu, hätte Leipzig ein gebündeltes Angebot an Aufarbeitung, Gedenken und Erinnerung. Allerdings, so Rathenow, dann zu Lasten anderer Städte und des ländlichen Raumes dazwischen: „Ganz abgesehen davon, das Sachsen aus verschiedenen Gründen ein zentrales Stasi-Archiv in Chemnitz und Dresden verdiente.“
Aus den Reihen der Landtagsabgeordneten kommen ebenfalls Fragen zum künftigen Aktenarchiv. Für die designierte Grünen-Spitzenkandidatin Katja Meier braucht es bei der Standortauswahl „großes Fingerspitzengefühl“. Die demokratiepolitische Fraktionssprecherin verlangt die Einbeziehung des Landtags: „Die Debatte über den Umgang mit den Stasi-Akten gehört in die Öffentlichkeit und darf nicht allein zwischen dem Bundesbeauftragten und der Staatsregierung verhandelt werden.“ Meier plädiert zudem dafür, die Außenstellen des Stasibeauftragten im Freistaat mit den sächsischen Gedenkstätten zu verknüpfen.
Allerdings dürfte der Landtag, falls es dort überhaupt ein Mehrheitsinteresse gibt, Leipzig als Zentralstandort nicht verhindern können. Die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben teilte auf Anfrage mit, sie habe von der Bundesregierung den Auftrag erhalten, Machbarkeitsstudien für „neue Archiv-Standorte“ zu erstellen: „In Sachsen soll dieser Standort in Leipzig sein.“ Allerdings stelle die Beauftragte des Bundes für Kultur und Medien noch die nötigen Unterbringungskriterien zusammen. Daher habe die Bundesanstalt bislang nicht mit der Standort-Erkundung begonnen.