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"Ich hatte Angst, meine Arbeit zu verlieren"

Jörg Freitag ist behindert und arbeitet in der Zeithainer Verwaltung. Dazu braucht er einen besonderen Elektrorollstuhl. Den wollte die Krankenkasse nicht bezahlen.

Von Jörg Richter
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Jörg Freitag (links) und Bürgermeister Ralf Hänsel plaudern auf Augenhöhe. Durch eine hydrauliche Hebefunktion des neuen Elektrorollstuhls ist das möglich.
Jörg Freitag (links) und Bürgermeister Ralf Hänsel plaudern auf Augenhöhe. Durch eine hydrauliche Hebefunktion des neuen Elektrorollstuhls ist das möglich. © Sebastian Schultz

Zeithain. Das Büro von Jörg Freitag im Gemeindeamt ist nicht besonders groß. Zwischen den Tischen, die links und rechts an den Wänden stehen, sind nicht mal zwei Meter Platz. Trotz seines körperlichen Handicaps kann der 60-Jährige dort problemlos arbeiten. Möglich machen  das mehrere Dinge, wie zum Beispiel die tiefer eingemauerten Lichtschalter. 

Doch besonders sein neuer Elektrorollstuhl mit dem extrem kleinen Wendekreis verschafft ihm die notwendige Bewegungsfreiheit. Zudem ist er höhenverstellbar. "Wenn ich will, kann ich mit jedem auf Augenhöhe sprechen", sagt Freitag. Das entspannt nicht nur die Nackenmuskeln, sondern hat auch den positiven Nebeneffekt, dass er sich als Behinderter nicht erniedrigt vorkommen muss. In der Zeithainer Gemeindeverwaltung ohne nicht. 

Dort arbeitet Jörg Freitag seit 1991, gehört zum festen Stamm, ist bei seinen Kollegen beliebt und anerkannt. "Er ist unser Systemadministrator und damit ein extrem wichtiger Mann für uns", sagt Bürgermeister Ralf Hänsel. Freitag kümmert sich um alle Computer in der Gemeindeverwaltung und ihren Einrichtungen, wie Schule und Kindergarten. Eine Fachkraft wie er sei schwer zu finden, betont Hänsel und ist froh, auch nicht auf die Suche gehen zu müssen. 

Dabei hätte es durchaus so kommen können. Denn eine Zeit lang war nicht klar, ob der Computerexperte wieder einen arbeitsplatzfähigen Untersatz erhält. Sein bisheriger Elektrorollstuhl, ein norwegisches Modell, hatte immer wieder Aussetzer. 

Ersatzteile benötigten zwei Monate Lieferzeit von Skandinavien bis Sachsen. Dann zog sich der norwegische Hersteller auch noch vom deutschen Markt zurück. Damit stand für Jörg Freitag fest, dass er so schnell wie möglich einen neuen, vergleichbaren Rollstuhl braucht, ehe sich die nächste Panne einstellt.

Der Riesaer Sanitätshaus-Geschäftsführer Andreas Hetke gratuliert Jörg Freitag zum neuen Rollstuhl.
Der Riesaer Sanitätshaus-Geschäftsführer Andreas Hetke gratuliert Jörg Freitag zum neuen Rollstuhl. © Sebastian Schultz

Der Zeithainer kontaktierte seine Krankenkasse, um einen Ersatz zu erhalten. "Aber sie hat sich auf die Hinterbeine gestellt", erzählt Freitag. Die Begründung der Krankenkasse: Er solle sich an die Deutsche Rentenversicherung wenden, die solle doch den teuren Elektrorollstuhl bezahlen. Das baugleiche Modell des deutschen Herstellers Paravan  kostet immerhin so viel wie ein günstiger Mittelklassewagen.  

Nach der Absage seiner Krankenkasse war Freitag verunsichert. "Ich hatte Angst, meine Arbeit zu verlieren", erzählt er und wandte sich an das Riesaer Sanitätshaus Hetke & Sengewitz, wo er auch schon das Vorgängermodell gekauft hatte. Für dessen Geschäftsführer Andreas Hetke ist das leider kein Einzelfall. Er sagt: "Wir müssen oft für unsere Kunden kämpfen, damit sie die Versorgung erhalten, die ihnen zusteht." Das gehe manchmal sogar bis hin zu Rechtsbeistand. 

Letzten Endes übernahm tatsächlich die Deutsche Rentenversicherung die Kosten für den neuen Elektrorollstuhl. Sie wollte allerdings vom Arbeitgeber eine Bestätigung, dass das nicht ganz billige Gefährt für die Arbeitsstelle von Jörg Freitag unbedingt und auch dauerhaft notwendig ist. Die Zusage gab Zeithains Bürgermeister gern. 

"Wir reden nicht nur von Inklusion, wir leben sie. Auch schon lange vor meiner Amtszeit", so Hänsel. Das spiegele sich im Arbeitsalltag wider. "Wir merken es überhaupt nicht, dass er mit irgendeiner Einschränkung hier arbeitet", betont er. Beim gemeinsamen Frühstück sei es gang und gäbe, dass derjenige, der neben Jörg Freitag am Tisch sitzt, auch dessen Schnitten schmiert. Das mache niemanden etwas aus und sei ja auch eine Kleinigkeit. 

"Solche Kollegen und Arbeitgeber sind für Behinderte ein Volltreffer", sagt Andreas Hetke, "denn oft wird es ihnen schwer gemacht." Der Fall von Jörg Freitag solle anderen Menschen mit Handicap Mut machen, sich nicht aus dem Alltag drängen zu lassen.

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