Von Achim Bergmann
Charles Clarke steht noch etwas unsicher im Pückler-Park Bad Muskau. Der Blick des 85-jährigen Briten aus Surrey schweift über die Wiesen: „Wie friedlich und ruhig es hier heute ist“, sagt er und schweigt. Es sind viele Erinnerungen, die an diesem Tag zurückkommen. „Es sind keine schmerzhaften Erinnerungen mehr“, sagt er etwas später: „Schließlich hatten wir das Glück, den Marsch zu überleben.“
Rückblick: Juli 1944, die Ostfront naht heran. Im Kriegsgefangenenlager Stalag Luft 3 in Sagan (Zagan) harren 15 000 Häftlinge aus. Die meisten sind Angehörige der britischen und amerikanischen Luftwaffe. Hitler befiehlt die Räumung.
Im Winter setzt sich der Tross in Bewegung. Die Soldaten schleppen sich durch die gefrorenen Felder Niederschlesiens.
Erfroren und verhungert
Über Halbau, Leippa, Priebus, Lukgnitz. Notdürftig bekleidet, unterkühlt und halb verhungert. Hunderte sind den unmenschlichen Strapazen nicht gewachsen: Sie sterben an den Folgen des „Long March“, der in die Geschichtsbücher auch als „Todesmarsch“ eingeht. Mitte Februar 1945 treffen tausende britische Kriegsgefangene in Muskau ein. Sie verbringen die bitterkalten Nächte im Park und in zahlreichen Unterkünften der Stadt. Unter ihnen die Squadron Leader Charles Clarke und Ivor Harris sowie Officer Andrew Wiseman. Jetzt, für den Long March 2006, sind sie wieder nach Bad Muskau zurückgekehrt: 30 Angehörige der Royal Air Force und mit ihnen im Konvoi die drei Veteranen. „Fast alle von uns hatten Erfrierungen“, erinnert sich der damals 21-jährige Wiseman nach der Ankunft des Gedenkmarsches am Montagabend im Pückler-Park. „Jeder hat beim Marschieren nur stumpf auf die Füße vom Vordermann gestarrt.“
Den Marstall habe er gleich wiedererkannt, sagt Wiseman im Gespräch mit Anwohnern: „Auch wenn es minus 20 Grad, alles verschneit war und wir seit Tagen nichts gegessen hatten.“ Die Muskauer, die zum Empfang der Veteranen an der Orangerie gewartet haben, lauschen gebannt. Unter ihnen sind auch Zeitzeugen. „Wir wollten den Soldaten damals Tee geben, als sie über die Brücke nach Muskau kamen“, erinnert sich eine der Wartenden: „Aber unser Vater hatte Angst, dass wir dafür ins Lager gesteckt werden“.
Tatsächlich, so der mitgereiste Historiker Dr. Howard Tuck, fanden die Häftlinge überraschend viel Hilfe in der Bevölkerung. „Auch deswegen sind wir ja hier. Wir wollen mit diesem Marsch beide Seiten ehren: Jene, die damals diesen Weg gehen mussten – und die Deutschen, die ihnen heimlich geholfen haben“, so Tuck. Der Besuch der Veteranen lässt nicht nur Erinnerungen, sondern auch ein Stück bislang kaum dokumentierter Regionalgeschichte aufleben. Officer Wiseman etwa wurde von der Baronin von Arnim zum Essen ins Muskauer Schloss eingeladen. „Dort hat die Baronin deutsche Soldaten rausgeschmissen, um mit uns Briten zu speisen“, erzählt Wiseman.
Es wurde ein persönlicher Krieg
Es gibt noch viele Geschichten zu hören, an diesem Tag der Rückkehr, und in keiner ist mehr Verbitterung oder Hass auf die Deutschen zu spüren. „Wissen Sie, es wurde während des Marsches ein persönlicher Krieg“, sagt Wiseman. Die Device: „Ich gegen Hitler, ich gegen die Nazis – ich wollte nur überleben, und das habe ich geschafft.“
Wiseman, Harris, Clarke und all die, die kräftig genug waren, marschierten 1945 weiter über Kromlau, Schleife, Spremberg und Luckau. Viele landeten dann in Bremen und Lübeck, bevor sie nach Kriegsende wieder in ihre Heimat zurückkehren konnten.