Von Bernd Goldammer
Katherina lernt am Radeberger Humboldt-Gymnasium. Später will sie Anwältin werden. Auch Anna strebt dort ihr Abitur an, doch sie überlegt noch. Für die beiden Nataljas an der Pestalozzi-Mittelschule steht jetzt schon fest: Sie wollen Dolmetscher werden. Die Mädchen sind Jugendliche, wie sie im Radeberger Land allerorten zu finden sind, mit Lebenswünschen und Träumen. Und doch es gibt einen kleinen Unterschied: Ihre Familien kommen aus Sibirien, Kasachstan und der Ukraine. Ihre Vorfahren waren Deutsche, die zwischen die Frontlinien des vergangenen Jahrhunderts gerieten. Die Folge: sprachlich-kulturelle Unterdrückung. Zwangsumsiedlung und Vertreibung wurden ihr Schicksal. Schon deshalb war Deutschland für ihre Eltern und Großeltern immer Heimatland geblieben. Und so machten sie ab 1990 dann auch von ihrem Recht auf Rückkehr Gebrauch.
Sich einbringen wollen
Damals waren die vier Mädchen noch nicht geboren. Inzwischen sind sie gute Radeberger Schüler geworden. Und heimisch zu sein, heißt für sie, sich in das Leben ihrer Stadt einzubringen. Und so stießen sie auf das Angebot des Radeberger Vereines „Die Mutmacher e.V.“ Der wird von Elke Richter geleitet und organisiert Begegnungsmöglichkeiten, um Kommunikation und somit Integration der Aussiedler ins Leben der Stadt Radeberg zu fördern.
Omas mit ins Boot geholt
Hier lernten sich dann auch die vier Mädchen kennen. Wenig später war den aufgeweckten jungen Damen klar: dieser donnerstägliche Treff im Radeberger Bürgerhaus ist eine wichtige seelische Bereicherung für die ganze Familie. Schon bald brachten sie deshalb ihre Großmütter mit. Denen ging es um den sattelfesten Gebrauch der deutschen Sprache. Als Großmutter Valentina Korjugina noch ihren Mädchennamen Fellinger trug und in Sibirien lebte, war es verboten Deutsch zu sprechen. Und auch später wurde ihre Mutter-Sprache Deutsch nicht gern gehört…
Jetzt beweisen die Omas ihren Enkelinnen und aller Welt: Man kann alles lernen, wenn man Chancen zu nutzen weiß! Deshalb ist der Donnerstagstreff im Radeberger Bürgerhaus so wichtig. Seit sie hier sind, sprechen sie alle viel besser deutsch, sagen sie. Weil sie hier mit geduldigen Gesprächspartnern aus Radeberg und Umgebung zusammen sind. Und sie spüren, dass es auch ihre Enkelinnen stolz macht, wenn diese merken, mit welch beachtlichem Erfolg sich ihre Omas „schinden“. Doch diese lebenserfahrenen Frauen geben auch etwas: Ihre Kochkünste nämlich! Und die werden immer gefragter. Hannelore Schrader ist eine waschechte Radebergerin. Für sie ist der Treff eine anregende Abwechslung – und auch sie kocht gern. Hier erfährt sie dann auch vieles aus der Lebenswelt der Aussiedlerfamilien. Birgit Meier organisiert den Ablauf der Begegnungen. Ihr als ABM-Kraft ist es wichtig, dass genug Zeit für Gespräche bleibt.
Zueinander finden
Doch damit nicht genug, durch die Zusammenarbeit mit der Friedland-Stiftung gelang es ihr, Geld für dieses Anliegen nach Radeberg zu holen. Bürger für Bürger, eine verdienstvolle Alltagsarbeit, die hilft, zueinander zu kommen. Demnächst steht ein russischer Abend an. Pelmeni? Borschtsch? Was gekocht wird, möchten die Damen noch für sich behalten. Wegen der Überraschung… Eines ist allerdings schon jetzt klar: Für alle Teilnehmer wird dieser Abend wird ein tolles Geschenk sein. Hier nimmt bereits die Fortsetzung gegenseitigen Gebens und Nehmens ihren Lauf. Und alle Radeberger werden dadurch reicher sein, das ist sicher.