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Sachsen beschweren sich fleißig

Geht es um die Verfassung, denken die meisten Menschen an die Richter in Karlsruhe. Verfassungsbeschwerden können jedoch auch in einzelnen Bundesländern erhoben werden. Und die Sachsen sind dabei recht fleißig.

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Von Marion van der Kraats

Geht es um die Verfassung, denken die meisten Menschen an die Richter in Karlsruhe. Verfassungsbeschwerden können jedoch auch in einzelnen Bundesländern erhoben werden. Und die Sachsen sind dabei recht fleißig. Rund 100 Verfahren gehen im Durchschnitt jährlich bei den Richtern mit den grünen Roben ein. Am 15. Juli besteht der Sächsische Verfassungsgerichtshof (VGH) seit zehn Jahren. Daran erinnern Politik und Justiz auf den Tag genau mit einem Festakt im Alten Rathaus in Leipzig, dem Sitz des höchsten sächsischen Gerichts.

Als die neun Richter am 15. Juli 1993 zu ihrer konstituierenden Sitzung erstmals zusammenkamen, trafen sie noch keine Entscheidung. Damals ging es mehr um organisatorische Dinge. Doch mit den Klagen zur Kreisgebietsreform in Sachsen und der ersten mündlichen Verhandlung dazu am 19. Mai 1994 hatten sie schnell ihre ersten spektakulären Entscheidungen zu treffen. Zehn der neun Gebietsreformgesetze wurden nach Gerichtsangaben in den Folgejahren angegriffen. 1998 verdoppelten sich die Eingangszahlen, weil allein über 100 Verfahren zu der Reform bei dem Gericht eingingen. Erfolgreich waren die wenigsten.

Ein Großteil der Klagen war ohne Erfolg

Das entspricht dem Trend. Nach Angaben von Thomas Pfeiffer, der 1995 dem heutigen Bundesgerichtshofspräsidenten Günter Hirsch in seinem Amt als VGH-Präsident folgte, bleibt ein Großteil der Beschwerden ohne Erfolg. Als einen Grund dafür nennt der Jurist, der zugleich Präsident des Sächsischen Finanzgerichts ist, die komplizierten Verfahrensvorschriften. Rund 750 Entscheidungen hat das Gericht seit seinem Bestehen getroffen. Dabei erledigten die Richter laut Sprecherin Grit Meusel jährlich etwa dieselbe Anzahl von Verfahren wie neue hinzukamen.

In manchen Fällen mit einem Aufsehen erregenden Urteil. Beispielsweise im Fall Heuersdorf. Da erklärte der VGH im Sommer 2000 das Gesetz zur Umsiedlung von Heuersdorf zu Gunsten des Tagebaus der Mitteldeutschen Braunkohlegesellschaft mbH (Mibrag) für nichtig. Das Thema wird die Richter möglicherweise erneut beschäftigen. Im Herbst will die Landesregierung ein neues Gesetz zu der umstrittenen Umsiedlung in den Landtag einbringen. Die Gemeinde bei Leipzig möchte sich dagegen erneut vor Gericht zur Wehr setzen.

Große Aufmerksamkeit fand auch ein Urteil im vergangenen Jahr. Im Juli ließ das Gericht den Volksantrag „Zukunft braucht Schule“ zu und machte damit den Weg für eine Änderung des sächsischen Schulgesetzes frei. Juristen und Politiker werteten das als Erfolg für die Initiatoren, auch wenn das Volksbegehren an der notwendigen Unterschriftenzahl scheiterte. Die Landesregierung hielt nach dem Urteil, mit dem der VGH die Linie anderer Entscheidungen verließ, bundesweit zahlreiche weitere Volksanträge für möglich.

VGH-Präsident Pfeiffer bleibt bei solchen Reaktionen gelassen. Aufgabe des Gerichts sei es zu prüfen, ob die sächsische Verfassung verletzt wird – nichts anderes, betont er. Zuletzt war dies der Fall im Verfahren eines Asylbewerbers, bei dem der VGH die lange Verfahrensdauer rügte und den Freistaat an sein Versprechen eines „zügigen Verfahrens“ erinnerte. Kurz vor dem VGH-Geburtstag steht am 10. Juli das nächste mit Spannung erwartete Urteil an: Dann will das Gericht verkünden, ob das sächsische Polizeigesetz gegen Grundrechte verstößt. (dpa)