Von Hartmut Landgraf
Im Krippengrund bricht der Frühling aus allen Knospen. Der Wald sonnt sich im Licht des Vormittags und streckt zarte, hellgrüne Triebe nach der ungewohnten Wärme aus. Vom langen Winterschlaf riecht sein Atem matt nach Laub, Holz und feuchter Erde – und doch irgendwie frisch.

Wie lange wird das noch so sein? Einige Tage? Zwei Wochen vielleicht? Kommt dann schon der Sommer mit Temperaturen weit über 25 Grad? Oder wird es bald gar keinen Frühling mehr geben? Die kleine Buche, die Rico Schneider in den Boden pflanzt, wird es erleben. Sie ist ein Kind des Klimawandels. Mit ruhigen, routinierten Bewegungen gründet der Forstwirt hier am Hang über dem Reinhardtsdorfer Bach einen neuen Wald. Und überlässt ihn zugleich auch einer unklaren Zukunft.
Revierförster Olav Spengler muss sich beeilen. Die Frühjahrspflanzungen haben gerade erst begonnen, und schon ist es so warm geworden, dass der Förster sie bald zu Ende zu bringen möchte. Das war in früheren Jahren nicht so. Dabei hat Spengler viel vor: In seinem Revier müssen in diesem Frühling 15 000 Buchen in den Boden, 8 000 Douglasien, 2 000 Bergahornbäume, 1500 Lärchen und 1200 Roterlen.
Der Förster ist Mitspieler in einem gewaltigen Pflanz- und Umbauprogramm, das Anfang der 90er-Jahre – teilweise auch schon davor – in den sächsischen Wäldern begonnen hat. Nach der übertriebenen Fichten- und Kiefern-Planwirtschaft früherer Zeiten wurde ein tiefgreifender Wandel in der Forstwirtschaft eingeleitet: von der Monokultur zum standortgerechten, artenreichen und stabilen Mischwald.
An dem Berghang, wo Spenglers Leute jetzt Buchen pflanzen, dominierte bis vor Kurzem noch die Fichte – bis zum Holzeinschlag im vergangenen Jahr. So ist es vielerorts in den sächsischen Mittelgebirgen: Fichten, soweit das Auge reicht.
Weil er schnell wachsendes und gutes Holz liefert, pflanzte man den Kälte und Hochlagen liebenden Flachwurzler seit dem 19. Jahrhundert weit über seinen natürlichen Lebensraum hinaus – bis hinab in die Täler, auf sonnige Südseiten und trockene Sandböden, sodass er allmählich zum Alleinherrscher wurde. In Mittelgebirgslagen liegt der Anteil der Fichte heute bei bis zu 80 Prozent.
Ein Fehler, wie sich zeigen sollte. Wie anfällig Monokulturen sind, ist spätestens seit den 1970er-Jahren klar, als unter dem Einfluss von Industrieabgasen an der deutsch-tschechischen Grenze ein massenhaftes Fichtensterben einsetzte. Damit begann der Waldumbau. Nach der Wende wurden die Anstrengungen forciert, inzwischen gibt Sachsen jährlich 15 Millionen Euro für die Mammutaufgabe aus. Allein in diesem Jahr werden im Freistaat sechs Millionen Bäume gepflanzt. Jedes Jahr soll eine Fläche von 1300 Hektar umgebaut werden.
In Olav Spenglers Revier sind es neun Hektar in diesem Jahr. Aber auch die brauchen ihre Zeit. Was, wenn sie nicht reicht? Wie lange wird es letztlich dauern, bis alle 15 000 Buchen im Boden sind? Das Frühjahr hat spät begonnen. Was, wenn es in ein paar Tagen schon wieder vorbei ist? Wenn der frisch aufgetaute Boden gleich wieder austrocknet und die Sonne den Wald nicht mehr anlacht, sondern auslaugt? Dann könnte der „Pflanzschock“ für so manches kleine Buchenbäumchen womöglich zu groß sein.
Klimaprojektionen lassen solche fast übergangslosen Wechsel von winterlichen zu sommerlichen Bedingungen plausibel erscheinen. Schon heute sprechen Experten vom Phänomen des „Aprilsommers“. Olav Spengler spürt diese Entwicklung. „Alles geht schneller“, sagt er. „Gerade hatten wir noch Schnee, jetzt kriegen die Erlen schon grüne Blätter und müssen dringend raus.“ In gefrorenem Boden kann die Frühjahrspflanzung nicht beginnen – in knochentrockenem genauso wenig. Das Zeitfenster dazwischen wird immer kleiner.
Die „massive Verkürzung der Pflanzperiode“ stelle den Sachsenforst vor erhebliche logistische Probleme, sagt Dirk-Roger Eisenhauer, Waldumbau- und Forschungschef des Staatsbetriebs. „Wir werden zunehmend auf andere Termine ausweichen müssen, den Spätsommer oder Herbst.“
Sachsen kann sich keinen Zeitverzug leisten beim Waldumbau – jetzt, da er bald mehr denn je gebraucht wird. Niemand kann mit Sicherheit sagen, was den Wäldern im Klimawandel bevorsteht. Aber es erscheint zumindest klug und zweckmäßig, nicht mit labilen Monokulturen darauf zu warten, sondern die Risiken der Entwicklung möglichst breit zu verteilen. Ziel des Waldumbaus sei es nicht, eine dominierende Baumart durch eine andere abzulösen, sagt Eisenhauer. Ziel seien vielmehr Wälder, in denen es möglichst „vielfältige Altersstrukturen und Baumarten gibt“. In Mittelgebirgslagen wird die Fichte auch künftig noch eine wichtige Rolle spielen, aber ihr Anteil soll langfristig von 80 auf 50 Prozent sinken. Als wichtigster Nachfolger tritt vielerorts die Buche auf den Plan.
Geht der auf, könnte es in einigen Jahrzehnten in vielen Teilen Sachsens so aussehen, wie ein paar Hundert Meter talaufwärts von Olav Spenglers Pflanzfläche im Krippengrund. Dort ist der Wald plötzlich ein ganz anderer. Kein lupenreiner Fichtenblock, den man zunächst mal kräftig lichten müsste, um Platz für andere Baumarten zu schaffen. Sondern eine muntere Gesellschaft aus unterschiedlich alten Fichten, Buchen, Lärchen und Eichen. Auf den Weg, der durch das Mischwäldchen führt, haben sich sogar ein paar Weißtannensamen verirrt und ausgetrieben. Dahin will Spengler mit seinen Umbauflächen kommen: Vielfältig sollen seine Bestände sein, möglichst stabil gegenüber Witterungsextremen oder Schädlingseinflüssen, dauerhaft ertragreich – und nachhaltig.
In einem ganzen Jahrzehnt baut Olav Spengler rund 180 Hektar Wald um. Sein Revier aber umfasst 1600 Hektar. Zu 35 Prozent besteht sein Wald aus Fichten, zu 43 Prozent aus Kiefern. Die Buchen im Krippengrund sind kaum mehr als ein Anfang.