50 Euro für jeden Sachsen?

Die Bundesregierung plant ein milliardenschweres Konjunkturpaket, um der durch die Corona-Pandemie schwer getroffenen Wirtschaft wieder auf die Beine zu helfen. Was das Paket an Förderprogrammen, Kaufanreizen und Steuererleichterungen enthalten soll, darüber will der Koalitionsausschuss von Union und SPD am 2. Juni beraten.
Den Wirtschaftskammern in Sachsen ist schon jetzt klar, dass ihnen dieses Hilfspaket nicht reichen wird. ,Also haben sich die sechs Präsidenten der Industrie- und Handelskammern sowie Handwerkskammern getroffen und entschieden, nicht mehr länger über Zuschüsse mit der Landesregierung zu streiten, sondern Vorschläge für ein eigenes Konjunkturprogramm des Freistaats zu machen.
Das Ergebnis des Treffens sind „Leitlinien“, welche sie am Dienstagabend in der Staatskanzlei mit Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU), Wirtschaftsminister Martin Dulig (SPD) und Landwirtschafts- und Energieminister Wolfram Günther (Grüne) diskutierten. In „konstruktiver Atmosphäre“, wie Dieter Pfortner, Präsident der IHK Chemnitz, am Tag danach bei der Vorstellung des Konzepts vor der Presse lobte und zur Verwunderung der anwesenden Frauen im Saal nachschob: Denn „da sitzen einige Männer zusammen und manchmal ist es gut, wenn keine Frauen dabei sind“. Und so wurde der „historisch einmalige Auftritt“ aller sechs Kammerpräsidenten am Mittwoch im Dresdner Hygienemuseum, der die Dramatik und die Welle der Verzweiflung in vielen Unternehmen deutlich machen sollte, auch noch aus anderen Gründen historisch. Zur Erinnerung: Sachsen ist das Bundesland mit dem höchsten Frauenanteil in den Chefetagen mittelständischer Unternehmen. Jede dritte Firma wird von einer Frau geführt und die von ihnen aufgebauten Friseurketten, Reisebüros oder Hotels gehören jetzt zu den am meisten von der Corona-Pandemie betroffenen Unternehmen.
Nach aktuellen Prognosen wird in diesem Jahr mit einem Einbruch der Wirtschaftsleistung in Deutschland um minus 8 bis 9 Prozent gerechnet. Um die Folgen für die sächsische Wirtschaft abzufedern, fordern die Wirtschaftskammern, die Investitionsausgaben des Freistaates für Modernisierung und Ausbau der Infrastruktur um mindestens 600 Millionen Euro pro Jahr auszuweiten. Die öffentlichen Mittel sollen in Digitalisierung, Breitbandausbau, Elektromobilität, Bildung, Straße und Schiene fließen. Die Investitionsquote im nächsten Staatshaushalt soll auf 17 Prozent steigen.
Weiterhin wird ein sächsischer Beteiligungsfonds in Höhe von 250 Millionen Euro verlangt, um das Eigenkapital der von der Corona-Krise bedrohten Firmen zu stärken. Auch wird angeregt, das Förderprogramm „Regionales Wachstum“ neu aufzulegen. „Das war ein Erfolgsprogramm. Die 27 Millionen Euro im Topf waren total ausgeschöpft“, betont Andreas Sperl, Präsident der IHK Dresden. Bei einer Neuauflage sollen nun 150 Millionen Euro in den Topf.
50 Euro für jeden Sachsen?
Um den Privatkonsum anzukurbeln, stellen sich Industrie und Handwerk „Anerkennungsprämien“ in Höhe von 50 Euro vor, die einmalig an die Bürger in Sachsen verteilt werden. Diese sollen regional eingelöst werden bei Friseuren, Restaurants oder Museen und Freizeitparks. Jörg Dittrich, Präsident der Handwerkskammer Dresden, versteht diese Gutscheine als „ein Dankeschön an die Familien und Menschen für ihre Geduld und Disziplin während des Lockdowns. In Wien würden solche Gutscheine praktiziert werden, Bayerns Ministerpräsident Markus Söder fordert Urlaubsgutscheine . „Unser Vorschlag geht davon aus, was kann Sachsen für den regionalen Wirtschaftskreislauf tun“, so Dittrich. Kostenpunkt insgesamt 200 Millionen Euro.
Punkt vier auf der Liste ist ein Zuschussprogramm zur Sicherung der Ausbildung in Höhe von 50 Millionen Euro, um Ausbildungsbetriebe bei Neueinstellungen, Verlängerungen von Ausbildungsverträgen aufgrund von Betriebsschließungen und bei der Übernahme von Lehrlingen aus insolventen Betrieben zu unterstützen. Frank Wagner, Präsident der Handwerkskammer Chemnitz, mahnte Hilfe bei der Berufsorientierung von Schülern und Schülerinnen an, da Betriebspraktika und Werkstatt-Tage nicht möglich seien.
Um Planungsprozesse zu beschleunigen, sollte die Landesregierung zudem bis mindestens Ende 2021 auf Steuer- und Abgabenerhöhungen sowie mehr Bürokratie durch neue Wirtschaftsvorschriften verzichten. Auch wird erwartet, dass sich Ministerpräsident Kretschmer und seine Kabinettskollegen auf Bundesebene für eine Senkung der Stromsteuer, Abschreibungserleichterungen und die sofortige Abschaffung der Vorfälligkeit von Sozialversicherungsbeiträgen einsetzen.
Dulig mahnt Realismus an
Die Umsetzung all dieser Forderungen würde die Landesregierung nach Rechnung der Wirtschaftskammern insgesamt 1,2 Milliarden Euro kosten – „ein anspruchsvoller, aber angemessener Betrag“, um die Wirtschaftstätigkeit wieder zu aktivieren“, wie es hieß. Mit der Landesregierung sei man sich über die Sinnhaftigkeit der meisten Vorschläge einig. Uneinigkeit bestehe bei der Höhe der Finanzierung. Die Kammern sehen ihre Leitlinien als Diskussionsgrundlage für weitere Verhandlungen. Doch Dresdens oberster Handwerker Jörg Dittrich macht die Erwartungshaltung klar: „Wir haben keine Zuschüsse bekommen und sehen das als Standortnachteil. Umso mehr ist die Staatsregierung verpflichtet, nun mehr für die konjunkturelle Belebung zu leisten.“
„Wir brauchen ein Konjunkturpaket, aber ich möchte dem Eindruck entgegentreten, als ob wir dafür alle finanziellen Möglichkeiten hätten“, betont Wirtschaftsminister Dulig und erinnert daran, dass der Freistaat sich für den Nachtragshaushalt in Höhe von sechs Milliarden Euro neu verschulden werde. Im Ministerium wird bereits an einem Konjunkturprogramm „Sachsen startet durch“ gearbeitet. In den Vorschlägen der Kammern sieht Dulig viel Übereinstimmung mit eigenen Vorstellungen etwa bei dem Beteiligungsfonds, der Wiederauflage des Förderprogramms „Regionales Wachstum“ oder der Stärkung der Ausbildung. Er ist optimistisch, „dass wir eine gemeinsame Linie finden werden“ und das Paket schon im Juni beschlossen werden kann.