Von Hanskarl Pfennig
Ja, es stimmt, auch früher hat die Jugend Späße gemacht und zuweilen das Kalb ausgetrieben. Aber so, wie das heutzutage mitunter zugeht, war das nicht. Früher hatte man einfach Spaß am Spaß und hinterließ alles so, wie man es vorgefunden hatte. Die Ausgelassenheiten waren pointenreich, und man war dabei stets darauf bedacht, keinesfalls zu schaden, weder an Körper noch an Seele oder an privatem wie an städtischem Eigentum. Niemals hat es in Kamenz Zeiten gegeben, in denen die Ausgelassenheit Halbwüchsiger eskalierte oder gar die einzige Beschäftigungsart waren, wegen der man sich traf. Und dann galten auch die Fürsorge- und Aufsichtspflichten der Eltern, der Verwandten und Bekannten und darüber hinaus die der gesamten Öffentlichkeit etwas.
Durch Ordnungshüter
diszipliniert
Es wäre den Jugendlichen von einst nicht im Traume eingefallen, den Kamenzer Markt als Tummelplatz zu verwenden, denn im Erdgeschoss des Rathauses war das Polizeirevier untergebracht und Tag und Nacht besetzt. Von Kindheit an hatte jeder junge Kamenzer Respekt vor der Polizei, der er jahrein, jahraus schon immer als Streife begegnet war. Man wusste einfach, da waren Ordnungshüter, die auf Ruhe und Sicherheit in der Stadt bedacht sind und wurde durch sie diszipliniert. Schon wer eine Knallerbse auf einen Fußweg warf und dabei erwischt wurde, erhielt eine Moralpredigt. Und wer gar mit dem Fahrrad durchs Lange Gäßchen fuhr oder quer über den Albertplatz fiel in Ungnade. Nun wurde das alles zwar nicht so heiß gegessen, aber man schämte sich und wollte um alles in der Welt nicht als polizeibekannter Dauerübeltäter gelten – schon der Eltern zuliebe und natürlich auch der Lehrer.
Das Übel an der
Wurzel erfassen
Lassen wir uns einmal etwas über die Verhältnisse der städtischen Schulen zu Kamenz in dem Schuljahr 1888/89 mitteilen, so wie sie in gleichnamiger Schrift von damals verzeichnet waren. Im Abschnitt über das sittliche Verhalten der Kinder außer der Schule wird von „weniger Klagen“ als im Vorjahre geschrieben. Als positiv wird dabei der sich steigernde rege Verkehr zwischen Schule und „Haus“ genannt als „ein untrüglich treffliches Mittel, manches Übel an der Wurzel zu erfassen und mit ihr auszureißen“. Wie wahr – wie wahr. Das hat schon manches Mal zum Erfolg geführt. Beklagt wurden vor 114 Jahren in Kamenz aber auch Unehrlichkeit und Unsittlichkeit unter einer Anzahl von Schülern, wofür im äußersten Falle zwei Jahre, eine Woche, vier Tage bzw. drei Tage Gefängnis von Gerichts wegen zuerkannt wurden. – Heute haben sich sicher die Schwerpunkte der Vergehen verschoben. Aber wie damals sind es bei weitem nicht alle jungen Kamenzer, sondern die Ausnahmen, die tagsüber harmlos unter uns wandeln und erst in der Anonymität der Dunkelheit aktiv werden. Fragen wir uns: Wann werden sie je verstehen.