Von Heiko Engel
Kein Stuhl passt mehr in die ehemalige Sparkasse in Radibor. Dort, wo der Chor „Meja“ probt, warten am Montagabend dicht gedrängt über 100 Zuhörer auf Stephan Kaasche vom Kontaktbüro „Wolfsregion Lausitz“. Wer kurz vor Beginn kommt, muss mit einem Stehplatz beim Geldautomat vorlieb nehmen.
Faszinierende Raubtiere
Die getöteten Schafe von Milkel und weitere Vorfälle in Rohne und Oppitz haben viele Menschen aufgewühlt. „Wir erhoffen uns Antworten auf die Frage, ob wir in Zukunft mit dem Raubtier leben und gerissene Schafe akzeptieren müssen“, sagt Benno Bilk, einer der Veranstaltungsorganisatoren.
Stephan Kaasche will seinen Zuhörern einen möglichst umfassenden Eindruck vom Leben der Wölfe und ihrer Verbreitung vermitteln. Kaasche ist freier Mitarbeiter im Kontaktbüro und seit seiner Kindheit von den Raubtieren fasziniert. Das ist dem Vortrag anzumerken. Gut eineinhalb Stunden redet Kaasche, zeigt Bilder und Karten, spielt einen O-Ton mit Wolfsgeheul ein. Das Publikum zeigt keinerlei Ermüdungserscheinungen.
Der Mann vom Kontaktbüro will auch Vorurteile zerstreuen – zum Beispiel die Sorge, dass Wölfe Jägern auf Dauer das Wild wegfangen. So sei zwar im Wolfsgebiet – das ist vor allem der Niederschlesische Oberlausitzkreis – weniger Rotwild erlegt worden, so Kaasche. Verantwortlich dafür sei aber vor allem ein langer Winter gewesen. Mufflons könnten leicht vom Wolf gerissen werden. Sie seien keine einheimische Tierart und deshalb nicht an die hiesigen Bedingungen angepasst. Bei einheimischen Wildtieren sei das anders, weshalb zumeist kranke oder schwache Tiere einem Wolf zum Opfer fielen. Menschen wurden nach seinen Angaben bisher nicht angegriffen. „So ein Vorfall hätte auch auf jeden Fall Konsequenzen.“
Abschussprämie angedroht
Einer der Jäger im Publikum meldet sich zu Wort. Ihn hat Kaasche nicht überzeugt. „Wir haben bisher auch ohne Wölfe das Gleichgewicht gehalten“, sagt der Mann. Die Raubtiere könnten abschreckend auf die Attraktivität der Region wirken. „Die Jagdpacht wird sinken.“ Landwirte sorgen sich weiterhin um ihre Tiere. Da hilft auch Kaasches Erklärung nichts, dass aus Radibor und Umgebung kein Wolfsgebiet werde. Zu wenig Wald, zu viele Störungen durch Menschen. „Aber auf gelegentliche Besuche sollten Sie sich einstellen.“ 90Zentimeter hohe Elektrozäune um Schaf- und Ziegenweiden würden Wölfe abschrecken. „Wir sind kaum in der Lage, Schutzmaßnahmen zu finanzieren“, ärgert sich ein Landwirt.
Wolfsfreundliche Wortmeldungen sind in der Minderheit. Einer der Zuhörer mahnt, nicht alles nur unter Kosten-Nutzen-Aspekten zu betrachten. „Das geht fehl.“ Ein anderer rät, sich mit den Schäden zu beschäftigen, die Wildschweine verursachen. „Wir machen uns über den Wolf heiß. Aber darüber redet niemand.“ Dennoch bleibt es dabei: Kaasche bekommt an diesem Abend vor allem Ablehnung zu hören. Einer der Anwesenden geht sogar noch einen Schritt weiter und droht mit einer Abschussprämie für jeden Wolf.