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Schicksale rund um Migration

In der Kirche Schleife ist eine berührende Wanderausstellung der TU Dresden zu sehen.

Von Andreas Kirschke
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Bis 15. Mai ist in der Schleifer Evangelischen Kirche die Wanderausstellung „Kommen / Gehen / Bleiben. Migrationsgeschichte(n) aus Sachsen“ zu sehen. Die Schleifer Pfarrerin Jadwiga Malinkowa freut sich über das Interesse.
Bis 15. Mai ist in der Schleifer Evangelischen Kirche die Wanderausstellung „Kommen / Gehen / Bleiben. Migrationsgeschichte(n) aus Sachsen“ zu sehen. Die Schleifer Pfarrerin Jadwiga Malinkowa freut sich über das Interesse. © Foto: Andreas Kirschke

Schleife. Christian Keimann (1607–1662) stammte aus einer Pfarrersfamilie. Als Lehrer und Kirchenlied-Dichter erwarb er sich in Zittau hohes Ansehen. Um 1620 gehörte er zu den Zehntausenden Protestanten, die um ihres Glaubens willen aus Böhmen nach Sachsen flüchteten. 

Von Pankraz (heute Jitrava bei Liberec in Tschechien) nach Zittau floh die Familie vor den Habsburgern: Diese wollten die Reformation wieder rückgängig machen. Christian Keimann studierte 1627 in Wittenberg. Er wurde Konrektor und später Rektor. Für den Schulunterricht schrieb er Lehrbücher wie „Aritmetica practica“ (1639) und „Rechenbüchlein“ (1641). Zudem verfasste er Kirchenlieder wie „Freuet euch ihr Christen alle“ (1646) und „Meinen Jesus lass ich nicht allein“ (1658). Berührend schildert die Wanderausstellung „Kommen / Gehen / Bleiben. Migrationsgeschichte(n) aus Sachsen“ in der Evangelischen Kirche Schleife sein Schicksal. Es gehört zu zehn erläuterten Lebenswegen von der Zeit der Herrnhuter bis zur Gegenwart. Erstellt wurde die Ausstellung von Studenten der Technischen Universität Dresden. Seit Ende April ist sie in Schleife zu sehen. „Das Thema Migration wird sehr umfassend beleuchtet. Es geht um Flucht aus Sachsen und um Flucht nach Sachsen. Das ist eine Perspektive, die ich als sehr differenziert und als gewinnbringend empfinde“, sagt Pfarrerin Jadwiga Malinkowa. Tiefgründig geht die Ausstellung auf Ursachen und auf Folgen der Flucht ein. Was brachte Menschen nach Sachsen? Wie wurden sie aufgenommen? Wann und wohin genau gingen sie? Mit den zehn ausgewählten Beispielen zeigt die Ausstellung: Migration gab es in der Geschichte immer wieder, und Ursachen waren vielfältig. Schuhmachermeister Gotthelf Willig zum Beispiel floh 1846 mit seiner Familie von Werdau nach Chicago (USA). Damaliger Anlass war die massive Erwerbskrise. Die Versorgungslage verschlechterte sich zusehends. So entstanden sogar „Auswanderungsvereine“. „Ich würde um keinen Preis in das unglückliche Deutschland zurückgehen, denn wer einmal hier das mit goldenen Sternen besäte Freiheitsbanner hat ken-nen gelernt, der wünscht sich gewiss nicht in die Knechtschaft zurück“, schrieb Gotthelf Willig 1852 über seine neue Heimat USA. Die Ausstellung geht ebenfalls auf die Arbeitsmigration nach Sachsen ein. So kam um 1800 aus dem britischen Manchester nach Harthau der Werkmeister Evan Evans (1764–1844). Er gilt als Begründer der sächsischen Baumwollspinnerei. Für seine Leistungen erhielt er zahlreiche Ehrungen. Bis in die jüngere Vergangenheit reichen die Beispiele der Lebensgeschichten in der Ausstellung. Unter anderem geht sie auf den mosambikanischen Vertragsarbeiter Jorge João Gomondai ein. Als 18-Jähriger kam er 1980 von seiner Heimat Chimoio in Mosambik nach Dresden. Dort arbeitete er zumeist im Schlachthof. Über den genauen beruflichen Werdegang ist nichts bekannt. „Die Wirtschaft der DDR war ohne sie nicht denkbar, doch niemand war ihnen dankbar“, erläuterte die Berliner Zeitung in einem Beitrag am 22. November 2008 im Rückblick den Stellenwert und die bewegende Geschichte mosambikanischer Vertragsarbeiter. „Die Ausstellung findet regen Zuspruch. Sogar schon beim Aufbau Ende April kamen Nachfragen“, freut sich Schleifes Pfarrerin Jadwiga Malinkowa. „Bis 15. Mai ist die Ausstellung noch zu besichtigen. Wir sehen sie als gutes Zeichen einer Offenen Kirche mitten im Leben.“