Von Ines Mallek-Klein
Heino Heller sitzt am Küchentisch. Auf der kleinen Bank neben ihm stapeln sich Zeitungen und Dokumente. Zeugnisse ihrer Zeit. Doch aus der Zeit, über die der 77-Jährige heute sprechen will, sind nur die Erinnerungen geblieben.
Es ist das Jahr 1944. Heino Heller ist ein aufgeweckter Achtjähriger. Die Vormittage verbringt er in der Schule, die Nachtmittage im Wald mit den Nachbarskindern. Vom Krieg war in Porschdorf bis dahin wenig zu spüren. Es gab ein paar Tiefflieger, und es gab die Familien, die um ihre Väter und Söhne trauerten. Doch dann kamen KZ-Häftlinge in den Ort. Junge Männer, dem Tod näher als dem Leben. Heino Heller wohnte Am Plan. Mehr als einmal sah er sie. Die gestreifte Häftlingskleidung schlotterte um die ausgemergelten Arme. Ihr Blick war starr. Die Männer schoben einen Handwagen die Hauptstraße hoch. Obendrauf lag eine eilig zusammengezimmerte Holzkiste. Sie wurde zum Porschdorfer Friedhof gebracht.
Eine traurige Prozession, über die niemand sprach. Heino Heller hätte gerne darüber geredet. Aber sein Vater war im Krieg. Er gilt bis heute als verschollen. Irgendwo in Rumänien verliert sich seine Spur. Die Mutter war damit beschäftigt, die Familie zu ernähren. „Wir kannten das Wort KZ nicht. Aber wir wussten, dass es gefährlich war, sich damit zu beschäftigen“, erinnert sich der Rentner.
Die Häftlinge waren jung. Sie kamen unter anderem aus Italien und waren in Gluto im Sebnitztal untergebracht. Sie sollten im Polenztal eine Bahntrasse bauen. Schwere Technik gab es nicht. So wurden die Häftlinge eingesetzt, um tonnenschwere Schienen zu transportieren. Heino Heller war beim Spielen im Wald eher zufällig auf den Arbeitsort der Häftlinge gestoßen, als er plötzlich Schreie hörte. Ein Häftling hatte seine Hand zu spät zurückgezogen, als die Schiene abgelegt wurde, und sich die Finger zerquetscht. „Die Bilder und das anschließende Gebrüll des Wärters, so etwas vergisst man nie“, sagt Heino Heller. Seine Stimme stockt.
Wie viele Häftlinge das Martyrium nicht überlebt haben, lässt sich bis heute nicht ganz genau sagen. Fest steht, dass elf Italiener auf dem Friedhof von Porschdorf beerdigt wurden. Sie gehörten zu den 250 Insassen von Schwalbe III, einem Außenlager des KZ Flossenbürg. Im Polenztal sollte unterirdisch ein Hydrierwerk zur Herstellung von Treibstoff entstehen. Die Schienen, die die Häftlinge geschleppt haben, waren für die Bahntrasse dorthin herangeschafft worden, sagt Heino Heller. Doch weder die Bahnstrecke noch die Fabrik wurden je vollendet.
Auch das Schicksal der KZ-Häftlinge geriet in Vergessenheit. Die Kreuze auf dem Porschdorfer Friedhof waren irgendwann wieder verschwunden. Eine Gedenktafel sucht man hier bis heute vergebens. Doch das soll sich ändern. Engagierte Bürger, wie Siegfried Mehnert, wollen an die schrecklichen Ereignisse erinnern. Die Namen der elf Italiener kennt man aus dem Kirchenbuch, genauso wie ihren Todestag. Das Geburtsjahr und die Daten von möglichen weiteren Opfern, die auf dem Porschdorfer Friedhof bestattet wurden, werden gerade recherchiert, sagt Siegfried Mehnert. Unterstützung dafür kommt aus Bayern.
Die Stiftung Bayerische Gedenkstätten, die für das KZ Flossenbürg und alle damit verbundenen Außenlager verantwortlich ist, hat Hilfe zugesagt. Mit schnellen Ergebnissen ist nicht zu rechnen. Nach Berichten von Augenzeugen wurden die Leichname der Opfer kurz nach Kriegende wieder exhumiert und in ihre italienische Heimat überführt. Bauern aus Porschdorf mussten schaufeln, sagt Heino Heller. Offen ist nun, welche Opfer noch auf dem Porschdorfer Friedhof liegen. Dass man ihres Schicksals gedenkt, findet der pensionierte Geschichtslehrer Heller gut. Es wird Zeit, sagt er, 70 Jahre nach dem Ende des Krieges.